Die Nachbarn im Visier

■ Helsinki will nicht in die Nato. Das könnte sich ändern, wenn Schweden ins Bündnis will. Doch Finnland grenzt an Rußland

Helsinki (taz) – „Wir hoffen natürlich, daß der Prozeß positiv verläuft. Aber wir hoffen auch, daß die Nato-Osterweiterung nicht zu einer neuerlichen Spaltung Europas führt“, sagt Anneli Taina. Deutlicher will die finnische Verteidigungsministerin nicht werden. Ein Unterton von Besorgnis ist dennoch nicht zu überhören.

Zwei Tage lang hat der deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe in dieser Woche Gespräche mit der politischen Führung in Helsinki geführt und während seines Besuches auch eine Brigade der finnischen Krisenreaktionskräfte besucht. Beide Seiten betonten hinterher, die Gespräche seien nützlich gewesen. Probleme gebe es keine, das deutsch-finnische Verhältnis sei traditionell gut.

Ungeachtet dessen befindet sich das nordeuropäische Land gegenwärtig in einer schwierigen Situation. Finnland ist sowohl von der Entwicklung des westlichen Militärbündnisses als auch vom Integrationsprozeß der Europäischen Union unmittelbar betroffen. Die Regierung in Helsinki muß jedoch in noch stärkerem Maße als andere europäische Regierungen bei ihrem eigenen politischen Kurs die Entscheidungen berücksichtigen, die ihre Nachbarländer treffen. Ein Nato-Beitritt Finnlands sei derzeit nicht aktuell, meint Verteidigungsministerin Anneli Taina. Gleichzeitig räumt sie ein: „Wenn aber andere Länder in die Nato gehen, dann kann sich die Situation ändern.“ Das ist auf Schweden gemünzt. Beobachter erwarten, daß Finnland seinen Kurs der Bündnisfreiheit nur beibehalten kann, wenn auch Schweden der Nato fernbleibt.

Ein Nato-Beitritt Finnlands aber würde in Moskau auf Widerstand stoßen – die beiden Länder haben eine mehr als tausend Kilometer lange gemeinsame Grenze. Gegenwärtig bemüht sich Helsinki daher um Rücksichtnahme nach allen Seiten. Mit der Nato unterhält Finnland als Mitglied des euro-atlantischen Partenrschaftsrats Beziehungen. „Wir sind näher an der Nato als jemals zuvor. Wir leben in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Nur der Segen des Pfarrers fehlt noch“, erklärt ein Abgeordneter der Nationalen Sammlungspartei in Helsinki deutschen Journalisten, die Rühe auf seiner Visite begleiten. Ein Parlamentskollege vom Christlichen Zentrum meint, Europa bleibe stabiler, wenn das Nato-Gebiet nicht direkt an Rußland grenze. „Das ist ein Punkt, den die USA nicht verstehen.“

Die Haltung Finnlands und Schwedens zur Nato berühren die Interessen der gesamten Ostseeregion. Diskrete Initiativen aus Washington, denen zufolge die beiden Länder zu Garantiemächten für die Sicherheit auch der baltischen Staaten gemacht werden sollen, stoßen in Helsinki auf wenig Gegenliebe. „Finnland kann keine Sicherheitsgarantie für andere geben“, sagt Ministerin Taina.

Von Entscheidungen anderer ist Finnland auch im Zusammenhang mit dem Prozeß der europäischen Integration abhängig. Seit 1995 gehört es zur EU, und die Regierung möchte trotz erheblichen Widerstands der Bevölkerung gern den Euro einführen. Die Kriterien dafür erfülle das Land mühelos, betonen Politiker in Helsinki. Ob es den Euro in Finnland geben wird, ist dennoch ungewiß: Sollte sich der wichtige Handelspartner Schweden nicht der Währungsunion anschließen, dann dürfte Helsinki ein Alleingang schwerfallen. Bettina Gaus