: Vereinigung oder Anschluß?
Daniel Defoes Reise durch Schottland nach dem Einigungsvertrag mit England von 1707. Der überzeugte Unionist wollte die Vorurteile zwischen den beiden Ländern abbauen ■ Von Martin Hager
Daniel Defoe, Journalist, Pamphletist und Autor des „Robinson Crusoe“, interessierte sich nicht nur für die Zivilisierung kannibalischer Eingeborener. Auch der Fortschritt seiner Heimat lag ihm am Herzen. Um sich darüber zu informieren, unternahm er ausgedehnte Reisen durch ganz Großbritannien, das sich seit dem Einigungsvertrag von 1707 aus England, Wales und Schottland zusammensetzte (Irland kam 1801 dazu).
Ziel der Reise war eine Bestandsaufnahme des Modernisierungsprozesses auf der gesamten Insel. Für den gebürtigen Londoner Defoe stand fest, wo sich das Zentrum der Nation befand, sein Ehrgeiz zur Vollständigkeit trieb ihn aber bis an die Nordspitze des schottischen Festlandes. Ergebnis seiner Reisen war ein dreibändiges Werk: „A Tour through the Whole Island of Great Britain“.
Die Union bedeute für Schottland nicht, darüber ist sich Defoe durchaus im klaren, daß sich plötzlich alle nur noch als Briten fühlten. Defoes Anspruch ist zu beschreiben, „wie ein Engländer Schottland erlebt hat“.
Andererseits geht es dem überzeugten Unionisten nicht darum, die Unterschiede zwischen den beiden Ländern herauszustellen, sondern soweit als möglich Vorurteile abzubauen: sei es die der Engländer, daß die Schotten alle rückständige Barbaren sind, sei es die der Schotten, daß die Vereinigung nur für Engländer wirtschaftliche Vorteile brächte.
Ganz so neutral, wie Defoe sich gibt, ist er natürlich nicht immer, gerade wenn er in die Highlands vorstößt, wo es ihm doch etwas unheimlich ist. „Die fürchterliche Unwissenheit, die diesen unglücklichen Teil des Landes so vollständig überschattet“, wird, so hofft er, bald zu einem Ende kommen, wenn die beim Einigungsvertrag veranschlagten „Mittel [zur Missionierung] mit Verstand angelegt werden“. Was man von Defoe, der vor der Romantik und damit vor der Entdeckung der Natur gelebt hat, nicht erwarten darf, ist ein Schwelgen in den Schönheiten der schottischen Landschaft. Insbesondere die Berge sind „wild“, „furchterregend“, „abscheulich“. Woran er sich dagegen ergötzen kann, sind Zeugnisse menschlicher Schaffenskraft. Wo er Sightseeing betreibt, da handelt es sich um Schlösser und Adelssitze, deren Architektur ihn fasziniert.
Am meisten interessiert sich Defoe aber für den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes. Für Städte gilt im Gegensatz zu Bergen: je größer, desto schöner, je kleiner, desto unansehnlicher. Diese Konzentration auf die Ökonomie würde auf die Dauer eine etwas eintönige Lektüre bedeuten, wenn nicht seine persönliche Betroffenheit so deutlich zum Ausdruck käme.
Wo es Gegenden gibt, die über natürliche Ressourcen verfügen, ohne daß dies zu Handel und Wandel genutzt wird, zeigt er sich bestürzt. Die Ursache sieht Defoe, der Vertreter des aufstrebenden Bürgertums, in der mangelnden Initiative des Adels. Das niedere Volk ist zu arm, der Adel aber ist sich einfach zu schade. Das kann Defoe nicht akzeptieren.
Alles in allem keine Lektüre für Kurzurlauber in Schottland oder reine Wanderfreunde. Wer sich aber für Geschichte und Geschicke des Landes interessiert aus dem Blickwinkel eines aufgeschlossenen Besuchers, dem sei das Buch wärmstens empfohlen. Robert Czoelner, Kleinverleger in Gummersbach, hat den schottischen Teil von Defoes Reise in eigener – und guter – Übersetzung auf Diskette herausgebracht.
„Defoes Reise durch Schottland 1723“. Ins Deutsche übertragen von Robert Czoelner. Gummersbach 1997. Die 3,5''-HD-Diskette ist im Buchhandel erhältlich: ISBN 3-932 495-01-2
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