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Wo das Lustzentrum liegt

Ein Mann im weiten schwarzen Mantel, schwarze Federn im Haar, imposanter Schnauzer (Nietzsche?), reitet bei Nacht aufreizend langsam über eine gleißend hell erleuchtete Brücke, während zur selben Zeit eine Frau, pardon: die Königin in ausladender Seidenrobe, angetan mit merkwürdigem, an Weihnachtsbaumkugeln erinnernden Kopfputz und von zwei Dienerinnen begleitet, sich auf den Weg in ein leeres Theater macht. Man ahnt: Falls es da eine Verbindung gibt, es wird nicht gut ausgehen mit den beiden.

Düstere Bilder von opulenter Dekadenz, unterlegt mit bedeutungsschweren Computerklängen, so beginnt Cremaster 5, der letzte Teil einer auf fünf Filme angelegten Reihe von jeweils etwa einstündigen Videoarbeiten des in New York lebenden Künstlers Matthew Barney. Generalthema dieser ansonsten eher lose zusammenhängenden Filmreihe ist der Mensch, dessen Fortpflanzung und die dafür notwendige, der Natur gemäß triebhaft erzwungene Interaktion der Geschlechter, vulgo: Sex, das allerdings in hochgradig verklausulierten Bildern.

Für Barney hat der Eros, wie wir ihn kennen, weitgehend ausgespielt. Das Lustzentrum liegt im Inneren des Körpers, das hat er in seinen bisher fertiggestellten Videos ausreichend drastisch vorgeführt. In Cremaster 1 ließ der ehemalige Medizinstudent über einem Footballstadion zwei Heißluftballons aufsteigen. Kundigen war sofort klar, worum es ging: Die Ballons hatten die Form von Eierstöcken. Ähnlich der im vergangenen Jahr präsentierte Cremaster 4: Dort wuchsen männliche Hoden aus Autoreifen, traten unförmige Fleischklumpen auf, deren einziges spezifisches Erkennungsmerkmal in einem ansehnlichen Gemächt bestand.

Nimmt man diese beiden ersten Filme, ist Cremaster 5 die vergleichsweise konventionellste Arbeit des Zyklus. Die Handlung ist rasch erzählt: Die Königin, die seltsame „Queen of Chains“, verehrt den ihr ergebenen Entfesselungskünstler Houdini. Doch wie das gehen kann: Die beiden finden nicht so recht zueinander. Am Ende stürzt sich Houdini (gespielt von Barney selbst) in selbstmörderischer Absicht in die Donau, und die Königin (Ursula Andress), sie trauert stumm, dem Geschehen entrückt, im immer noch leeren Theater. Parallel dazu zeigt Barney, dem es antike Mythologien und deren Personal angetan haben, eine Art Unterwelt, in der Houdini-Barney in einer Wiederkehr als Neptun (siehe Foto, Katalog 78 Mark) auftritt, umgeben von frechen Nymphen.

Dabei gelingen Barney einige ungewöhnliche Bilderfindungen, etwa in der Szene, in dem der Gott der Meere von seinen Gespielinnen Turteltauben an sein aus einer Karikatur von Hoden bestehendes Geschlechtsteil gebunden bekommt und diese dann losfliegen. Meistens jedoch bleibt es bei einem heiteren, unbekümmerten Eklektizismus, der den Vätern der surrealen Groteske, allen voran Jean Cocteau und Federico Fellini, viel verdankt. Die kompromißlose, häufig ein wenig gewalttätig erscheinende Selbstinszenierung, die den 30jährigen Matthew Barney in rasanter Geschwindigkeit zu einem der Stars der internationalen Kunstszene gemacht hat, ist hier nur noch in Spurenelementen vorhanden. In Cremaster 5, der nach seiner Uraufführung am Mittwoch noch bis zum 16. August im Frankfurter Portikus zu sehen ist, gibt es einen Moment, der als Reminiszenz seiner frühen Performances verstanden werden könnte. Damals kletterte Barney nackt und mit einer Vielzahl an Klistieren und ähnlichen medizinisch-mechanischen Gerätschaften ausgerüstet als Mischung aus Sexualsadist und Freeclimber die Wände einer New Yorker Galerie hoch. Inzwischen tut er's lieber in der gepflegten Sparversion: im barokken Kostüm einmal um den Bühnenkasten herum. Ulrich Clewing

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