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Schokoküsse für Dorfpostille

Wie die kriminalisierte Zeitschrift „Interim“ jetzt gemacht wird: abhörsicher an einem geheimen Ort und mit fiktiver öffentlicher Redaktionssitzung  ■ Aus Berlin Uwe Rada

Drinnen in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz spielen sie „Pension Schöller: Die Schlacht“. Von „blutigen und grotesken Parabeln“ schrieb die Stadtillustrierte Zitty, daß „die Possen ihre Unschuld verlieren“. An ihre Stelle trete „die Wirklichkeit mit ihrem blutigen Ernst.“

Provokantes Theater – Brigitte ist dennoch nicht hingegangen. Sie sitzt auf dem Platz vor der Volksbühne, das Mikro in der Hand und hebt an zu Georg Büchners Hessischem Landboten: „Dieses Blatt soll die Wahrheit sagen, aber wer die Wahrheit sagt, wird gehenkt, ja sogar, wer die Wahrheit liest, wird durch meineidige Richter vielleicht gestraft“, spricht sie ins Mikrofon und beschwört Büchners Aktualität: „Deshalb haben die, welchen dies Blatt zukommt, folgendes zu beachten: Sie müssen das Blatt sorgfältig außerhalb ihres Hauses vor der Polizei bewahren.“

Die 200 Zuhörer aus der autonomen Szene klatschen Beifall: Sie wissen, so war es nicht nur zu Büchners Zeiten.

Brigitte spricht auf der öffentlichen Redaktionssitzung der Zeitschrift Interim, der zweiten dieser Art nach einer Veranstaltung auf dem Alex am Nachmittag. „Ultimative linksradikale Dorfpostille“, verkündet ein Transparent weithin sichtbar vor der Volksbühne.

Daß die Leser und Leserinnen der Interim vor der Volksbühne Theater machten, hat viele Gründe. Der eine: Donnerstag ist immer Interim-Tag. Pünktlich gegen 17 Uhr landen die 1.500 Exemplare der Flugblatt- und Debattensammlung normalerweise in den einschlägigen Läden, Kneipen und Kollektiven der autonomen Berliner Gemeinde, angeliefert von Fahrradkurieren, den Landboten der Moderne.

Am 12. Juni war den Boten allerdings die Botschaft abhanden gekommen. Über 500 Schutzpolizisten, Staatsschützer und Staatsanwälte hatten neun Wohnprojekte und zwei Druckereien durchsucht und 750 Exemplare der Nummer 424 sowie 16 Computer beschlagnahmt. Begründung: Angebliche „Billigung und Belohnung“ von Straftaten, etwa durch den Abdruck von Bekennerschreiben oder Bauanleitungen für Wurfanker. Für die Interim-MacherInnen war jedoch schnell klar, daß es vor allem darum ging, die seit neun Jahren regelmäßig erscheinende Zeitschrift wie schon die radikal zu kriminalisieren und in die Illegalität zu drängen. „Schönbohms Kriegserklärung ist angekommen, und wir werden darauf reagieren“, hieß es in einer Erklärung. Der Berliner Innensenator Schönbohm sieht nicht nur in der autonomen Szene, sondern sogar in Obdachlosen und Graffiti- Sprayern wesentliche Hürden für Berlin auf dem Weg zur „Hauptstadtreife“.

Brigitte endet beifallumrauscht mit Büchners Revolutionsparole: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“. Gleichzeitig verteilt Gabi vom Interim-Team Flugblätter an die wenigen Besucher der Pension Schöller. „Wir sind und bleiben alle ein bißchen Interim“ ist darauf zu lesen und: „Wir lassen uns das Diskutieren nicht verbieten.“ Gabi sagt dazu: „Gegen die Kriminalisierung hilft nur Öffentlichkeit. Und Offensive.“ Mit der ungewöhnlichen Form einer öffentlichen Redaktionssitzung solle, so Gabi, das „Prinzip Interim“ verdeutlicht werden: daß die Zeitschrift nicht nur ihren LeserInnen, respektive AutorInnen gehört, sondern auch nur so gut sein kann, wie diese mitarbeiten.

Gern wüßte Gabi, wie gut die Nummer 425 ist, deren pünktliches Erscheinen die streng anonymen MacherInnen bereits am Wochenende angekündigt hatten. Von der aktuellen Ausgabe aber ist vor der Volksbühne keine Spur. Was nur Eingeweihte wissen: Die neue Nummer der Interim fehlt schon wieder. Am konspirativen Druckort hatten die Abholer nur eine leere Palette vorgefunden. Sollte sich das „Prinzip Interim“ am Ende selbst ein Bein stellen?

Eine verschlampte Ausgabe, die auf eine beschlagnahmte folgt, das wäre schon eine böse Posse. Noch vor zwei Tagen hatte sich Jörg* zusammen mit Lore-Maria*, Klaus-Rüdiger* und Peter* die Nacht um die Ohren geschlagen, um Schönbohms „Kriegserklärung“ mit Nummer 425 zu beantworten. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch sind sie die Interim- Redaktion.

Das hatte schon vorher Streß bedeutet. Ein Treffpunkt mußte organisiert werden, an dem man unbeobachtet und auch ungehört zusammensitzen kann; die technischen Fragen waren zu klären; der Briefkasten der Redaktion im Kreuzberger Mehringhof zu leeren, der Druck zu organisieren. Und dann mußten noch bunte Laken besorgt werden, um die Fenster zu verdunkeln. Klandestiner Alltag im linksradikalen Kampf um die Pressefreiheit. Die Berliner Verfassungsschützer sprechen von einer „auf gegenseitigem Vertrauen und hoher Disziplin aufgebauten geschlossenen Struktur“.

Rückblick in die Redaktionsnacht: Jörg breitet die Plastiktüte mit der Post für die aktuelle Ausgabe über dem abgewetzten Holztisch aus, liest aus dem Beschluß des Amtsgerichts zur Beschlagnahme der Nummer 424 vor. „Offenbar hatten die ziemlichen Erklärungsnotstand“, lacht Jörg und zitiert die inkriminierte Passage, die bei den drei anderen ebenfalls nur Gelächter hervorruft: „Am Donnerstag, den 19. 6., ist die Grundsteinlegung für den Fusionsforschungsreaktor Wendelstein 7X. Dies soll der erste Reaktorneubau in der BRD seit Tschernobyl werden. Denkste... In erster Linie werden wir versuchen, die Grundsteinlegung zu be- bzw. verhindern.“ Was die vom militanten Layout dieser ansonsten betulichen Seite beeindruckten Bereitschaftsamtsrichter wohl übersehen haben: Vor und nach dem Wendelstein-Flugblatt waren in der beschlagnahmten Interim-Nummer tatsächlich zwei Bekennerschreiben abgedruckt. Eines von einem „Commando Villa Abajo“, das sich selbst bezichtigte, im Rahmen der „Innenstadt-Aktionstage gegen Säuberung, Ausgrenzung und Sicherheitswahn“ den Brunnen am Breitscheidplatz mit Waschpulver zum Überschäumen gebracht zu haben. Das andere eine in epischer Breite verfaßte Erklärung, mit der eine Stein- und Farbei-Aktion gegen den Vorstandsvorsitzenden der Hamburger Hochbahn-AG mit dem „Schrecken“ begründet wurde, „den seine uniformierten Bahn-Schergen in der U-Bahn verbreiten“.

Der Solidarität der Interim-LeserInnen kann sich die Redaktion stets sicher sein. Wo in anderen Presseorganen Abokurven und Mediaanalysen unbestechliche Gradmesser sind, mißt sich die Beliebtheit der Interim an der Menge der auf dem Postweg zugesandten Schokolade. Und die gab es nach den Durchsuchungen reichlich. „Ritter Sport“ mit Joghurt oder der Klassiker: Trauben-Nuß. Erst beim Auspacken der Schokolade merkt Lore-Maria, daß sie den ganzen Dienstag vor lauter Anspannung noch nichts gegessen hatte. Sind die Bullen in der Nähe, oder ist die Luft rein? Von Panik will sie allerdings nichts wissen. Eher von verstärkter Aktivität. „Der Kriminalisierungsversuch ist auch eine Chance“, sagt sie. Das Interesse an der Interim sei derzeit größer denn je. Umso wichtiger sei es deshalb, die neue Nummer zu produzieren. Klaus-Rüdiger hätte statt all der Schokolade allerdings gern mehr Zuschriften gehabt – und das nicht nur, weil sich mit den blütenweißen Handschuhen, die er sich aus Vorsicht wegen etwaiger Fingerabdrücke übergezogen hat, nur schwer Schokostückchen verspeisen lassen. Geplantes Schwerpunktthema, so hatte man angekündigt, sei, „wie wir gegenüber den Hauptstadt-Ausputzern in die Offensive kommen“. Bei den Lesern, also den Autoren des „Prinzips Interim“, stieß die Forderung freilich auf nicht allzugroßes Gehör: Außer zwei Erklärungen, teils schon in der Tagespresse zitiert, ist zum Thema autonome Pressefreiheit nichts eingegangen.

Peter nennt das „peinlich“. „Redaktion heißt Auswahl“, sagt er und erzählt den Witz mit der halben und der ganzen Todesstrafe. „Wenn ein zugesandter Text halb daneben ist, gibt es die halbe Todesstrafe und die heißt 71 Prozent.“ Was? „Die Halbierung des Textes auf dem Kopierer. Die ganze Todesstrafe ist der Ordner.“ Der Ordner, das ist jene Institution in den Berliner Infoläden, in dem man jene Texte nachlesen kann, die bei der jeweiligen Redaktion der Interim durchgefallen sind: weil sie zu langatmig waren, zu schlecht layoutet oder von linksradikalen Dogmatikern und Stalinisten verfaßt.

Für die Nummer 425 mußte freilich kein Text in den Ordner. Im Gegenteil: Um auf die angestrebte Stärke von 32 Seiten zu kommen, mußten die vier TagesredakteurInnen auf Konserven zurückgreifen. Klaus-Rüdiger schreibt unterdessen das Vorwort, die einzige Stelle der Zeitung, in der sich die Redaktion zu Wort meldet. „Der Briefkasten war gähnend leer“, tippt Klaus-Rüdiger in den Laptop und fügt ironisch hinzu: „Wahrscheinlich seid ihr im Moment alle auf der Straße...“

Auf dem Rosa-Luxemburg- Platz neigt sich der Schokokußvorrat für die Interim dem Ende zu wie auch das Agit-Prop-Stück „Öffentliche Redaktionssitzung“: Die Texte, darunter ein taz-Artikel zu den bevorstehenden Castor- Transporten, sind ausgewählt, die kopierten Blätter akkurat mit den aufgeklebten Seitenzahlen versehen und der Wunsch an die LeserInnen ausgesprochen, „das nächste Mal was zur Lindenstraße zu schreiben, weil es alle interessiert, wann Tanja Dressler endlich ihren Mann zur Seite bringt, um mit ihrer Geliebten auszuwandern“. Der autonome Frauenchor hat sein Ständchen für die Interim beendet und rollt das Transparent ein mit der Parole „Wir schreiben, wir drucken, der Schönbohm muß es schlucken.“

Wo aber bleibt die eigentliche Provokation, die neue Ausgabe? Wird auch dieser Donnerstag kein Interim-Tag? Sollten die Bullen etwa schon wieder...?

Da breitet sich über Jörgs Gesicht endlich Erleichterung aus. Gerade sind die zeitweilig verschwundenen Kartons aufgetaucht. Das verabredete Zwischendepot war von der Polizei beschattet worden, und so hatte der Druckerei-Bote die Kartons spontan bei einem Szeneprojekt geparkt, völlig unbewacht. Das Projekt strafte die Kartons dann einige Stunden mit Mißachtung. Zumindest in diesen Stunden hat das „Prinzip Interim“ besonders eigenwillig funktioniert. Das von Schönbohms Häscher-Kolonnen nicht.

* Namen von der Redaktion geändert.

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