Busfahrt als Super-GAU

■ „Soundscapes für den Raum der Klänge“: Bremer MusikstudentInnen und „dacapo“bringen acht Uraufführungen im Übersee-Museum zu Gehör

ür den neuseeländischen Gaststudenten Gwyn Reynolds hat ganz Bremen im ersten Lichthof des Übersee-Museums Platz. Der nördlichste Ortsteil Rekum liegt zwischen den Hütten aus Ozeanien. Das rund 30 Kilometer entfernte Mahndorf befindet sich am Eingang zum Lichthof. Das Stadtzentrum schließlich ist wie im wirklichen Leben auf einer Düne alias einem Podest angesiedelt und als Herz oder eher Hirn des Ganzen mit ungezählten Schaltern, Tasten, Kabeln, Mischpulten und Computern ausgestattet. „R-Clang“heißt die ganze Anlage und „Buses, Streetcars And Gongs“(BSAG) die klingende Stadtgeographie, die Gwyn Reynolds dafür entworfen hat. Gemeinsam mit sieben anderen, in der Klasse der Komponistin Younghi Pagh-Paan an der Hochschule für Künste entstandenen „Soundscapes“wird sie am Freitag im Lichthof des Museums uraufgeführt.

BSAG fängt ganz langsam an. „,Rekumer Siel' Gong, ,Farger Straße' Gong, ,Rönnebecker Hafen' Gong“, nähert sich ein Bus aus der Richtung der ozeanischen Hütten.

Wenig später kommt ein zweiter Bus hinzu, dann ein dritter, und als die virtuelle Lesumbrücke erreicht ist, tönt aus Richtung Eingang: „,Koblenzer Straße' Gong, ,Neuwieder Straße' Gong“. Richtung um Richtung gesellt sich hinzu, bis sich nach und nach aus den ersten beiden Strecken das ganze Bus- und Straßenbahnliniennetz zu einem Klanggebilde formt.

Mehr als 500 Haltestellendurchsagen hat der Jazz-Saxophonist und Komponist Gwyn Reynolds für seine erste elektroakustische Komposition aufgenommen und bearbeitet.

Im Übersee-Museum fügt sich diese sechsminütige Soundcollage zum Crescendo, zu einem so ironischen wie dramatischen Super-GAU der BSAG, der sich nach einem umgekehrten Zentrifugalprinzip in der Durchsage „,Hauptbahnhof' Gong“auflöst.

Die Wirkung von Gwyn Rey-nolds Spektakel entfaltet sich erst durch das technische Herzstück der Anlage, den aus einem zwölfkanaligen Lautsprechersystem bestehenden „Raum der Klänge“im ersten Lichthof des Museums.

Der Konzertveranstalter Ingo Ahmels von „Dacapo“installierte den „Raum der Klänge“in Zusammenarbeit mit dem Bremer Komponisten Hans Otte im Frühjahr im Museum.

Für das „Soundscapes“-Projekt wird zusätzlich ein digitales Mischpult eingesetzt, das der Hochschuldozent Georg Bönn in seinem „Studio für Elektronische Musik an der Hochschule für Künste“entwickelt und auf den Namen „R-Clang“getauft hat. In Echtzeit ist es möglich, Klänge per Mausklick durch den Raum zu schieben oder – weniger prosaisch – Lautstärken in feiner Abstimmung zu regeln. Bönn: „Im kommerziellen Bereich heißen ähnliche Effekte ,Dolby Surround'.“

Neben Reynolds haben fünf weitere StudentInnen dieses System für sich nutzbar gemacht. Doch nicht alle gingen mit so viel Humor ans Werk wie der Neuseeländer. Die Südkoreanerin Jin-Ah Ahn etwa setzt sich in ihrem Stück „Karma“für Streichquartett und elektronische Musik mit der fernöstlichen Variante des Exorzismus auseinander. Der Raumklang wird zu einer Ekstase zugespitzt.

Aus dem Inneren der Bremer Müllverbrennungsanlage kommt das Klangmaterial für die Komposition „FÖ“des Deutsch-Palästinensers Ezzat Nashashibi. Er experimentiert mit Frequenzüberlagerungen und Klangwänden, die durch den Raum wandern. Was sich hier abstrakt anhört, gerät vor Ort zu einer Art Visualisierung des Hörens, zu einer Skulptur aus Klängen.

Wie bei allen experimentellen Kunstproduktionen sorgt das Risiko für Spannung. Christoph Ogiermann, der statt auf High-Tech-Apparaturen auf Live-Musik und auf ein Endlos-Tonband setzt, wußte bis zur gestrigen Generalprobe noch nicht, ob sein Konzept aufgeht. Zwei GeigerInnen bearbeiten ihre Instrumente mit den Bögen. Diese Klänge werden während des Spiels Schicht für Schicht aufgezeichnet, bis sich am Schluß alle Töne zu einem Gesamtklang vereinen.

Der Titel seines Projekts ist zeilenlang, die Gefahr das Scheiterns ist schlicht: Eine Rückkopplung. ck

Acht „soundscapes für den Raum der Klänge“am Freitag, 27. Juni, um 20 Uhr im ersten Lichthof des Übersee-Museums. Karten gibt's bei dacapo unter 500 444 oder im Ticket Service Center