: Grüne treffen die Chemieriesen
■ „Nachhaltige Wirtschaft nur mit, nicht gegen die Industrie“ Von Konzernen mehr Dienstleistung bei Umwelt gefordert
Berlin (taz) – Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und die grüne Bundestagsfraktion wagen sich in einen Raum – ganz allein. Das hat lange gedauert. Vor allem in der Industrie galt es, Vorbehalte abzubauen. Während Hoechst etwa schon einige Zeit den Dialog sucht, mauerten BASF und Bayer bislang. Nun ist es soweit: Kommenden Montag sitzen die beiden Lager zu einem gemeinsamen Workshop über die Zukunft der Chemie in Bonn zusammen.
„Eine nachhaltige Wirtschaft kann nicht gegen, sondern nur mit der Industrie durchgesetzt werden.“ Diese Erkenntnis führte die bündnisgrüne umweltpolitische Sprecherin Michaele Hustedt an den Tisch. Und da die Chemie die „globalste Wirtschaftsbranche“ ist und damit „Vorreiter für die Entwicklung der Großindustrie“, führte für die Grünen kein Weg an Boehringer, Henkel und Bayer vorbei.
Hustedt wähnt die Grünen in einer guten Lage: Die „langen fetten Jahre“ der Branche seien vorbei, es sei „Dynamik hereingekommen“, die Innovation möglich mache. Belege seien etwa der Umbruch bei Hoechst, der zur Zeit viele Einzelunternehmen mit großer Eigenständigkeit aus dem Konzern ausgliedert. Oder die Schweizer Konzerne Ciba-Geigy und Sandoz, die über Nacht zu Novartis zusammenschmolzen, dem zweitgrößten Pharmariesen der Welt. Nach Jahren der Verteufelung wollen die Grünen nun die Erneuerung kritisch begleiten.
Mit ihrem Papier „Zukunft der Chemieindustrie“ haben sich die Grünen nun auf die historische Begegnung vorbereitet. Darin definieren sie Umweltbewegung, Anwohner und kritische Verbraucher als marktwirtschaftliches Element, das die Unternehmen „zu Höchstleistungen treibt“. Die Firmen erlangten durch die Proteste den Vorteil, sich notgedrungen auf neue interessante Marktsegmente hinzubewegen – sie würden mit neuen Produkten vom „Getriebenen zur treibenden Kraft“.
In diesem Sinne zeigen sich die Grünen durchaus aufgeschlossen für Probleme der Chemieindustrie. Sie fordern neugestaltete Arbeitszeiten genauso wie rasche und verläßliche Genehmigungsverfahren. Sie setzen, ganz marktwirtschaftlich, vor allem auf mittelständische Unternehmen, „die international erfolgreich und verbrauchernah neue Produkte vermarkten“, während die Konzerne lieber alte Patente ausnutzten.
Schließlich fordern die Grünen mehr Dienstleistung von der Chemie: Wer zum chemischen Reiniger, etwa in der Papierfabrik, auch noch eine spezielle Schaumreinigungsmaschine entwickle und etwas Know-how anbiete, könne dafür sorgen, daß weniger Chemie eingesetzt werden muß, und trotzdem Geld verdienen. Tatsächlich gründen immer mehr Konzerne Subunternehmen, die solche Dienstleistungen anbieten.
Doch hier enden abrupt die Gemeinsamkeiten: Denn eine sanfte Chemie muß den Grünen zufolge das eingesetzte Material radikal verringern.
Außerdem sollen alle krebserregenden oder stark giftigen oder sich massiv in der Umwelt anreichernden Stoffe vom Markt verschwinden, und auch aus PVC soll ausgestiegen werden. Und statt Gentechnik soll sich die Chemie auf Produktion mit Enzymen beschränken. Daran wird der VCI kaum Gefallen finden. Matthias Urbach
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