piwik no script img

Überstunden machen frei

Die taz-Chefin über ihre schleichende Verpaschaisierung  ■ Von Klaudia Brunst

Es fing schon vor dem Aufstehen an. „Ich werde morgens immer pünktlich sein müssen“, hatte ich meine Freundin gewarnt, als wir im letzten Sommer über das Angebot der taz beratschlagten, mich in die Chefredaktion zu entsenden. „Ich werde früher zur Arbeit gehen müssen und dafür abends oft nicht rechtzeitig zurück sein.“ Als ich dann zum erstenmal den Wecker auf 6.30 Uhr gestellt habe, hatte sie doch geschluckt. Und vorgeschlagen, gemeinsam erst um sieben aufzustehen. Sie würde dann im Gegenzug alleine den Frühstückstisch decken, während ich die Zeitung lese.

Mit diesem ersten harmlosen Zugeständnis an unsere bis dahin recht partnerschaftlich aufgeteilte Haushaltsführung war der Grundstein zu meiner Verpaschaisierung praktisch gelegt. Denn alles, was sich in den kommenden Wochen in meinem Privatleben veränderte, veränderte sich nach der gleichen männlich geprägten Logik: Zeit war in meinem Leben plötzlich das kostbarste Gut geworden.

Natürlich sprach erst mal nichts dagegen, wie bisher zu verfahren. Aber wenn ich spät abends nach Hause kam und wirklich noch den Staubsauger anschmiß, dann fand das meine Freundin unproduktiv, denn so hatten wir noch weniger voneinander. Also gewöhnte sie sich an, schon gesaugt zu haben, wenn ich nach Hause kam. Ein partnerschaftliches Entgegenkommen. Ich bot mich im Gegenzug an, Spül- und Waschmaschine zu bedienen. Die Geräte können auch nachts laufen.

Noch fataler war es beim Einkaufen. Bevor der Ladenschluß fiel, war es mir sowieso unmöglich, einkaufen zu gehen. Meine Arbeitszeit entsprach exakt den Öffnungszeiten von „Kaiser's“. Meinen Vorschlag, am Samstag mit dem Auto in den Supermarkt zu fahren, schlug meine Freundin aus. „Toll!“ meinte sie sarkastisch. „Da hast du dann mal frei, und wir stehen gemeinsam in der Kassenschlange.“

Selbst als der Ladenschluß dann endlich aufgehoben wurde, machte das die Sache wider Erwarten nicht besser. Denn meine knapp bemessene Zeit ist mir nicht nur teuer, sie ist mir längst mehr wert als mein Geld. Denn zum einen verdiene ich jetzt besser, zum anderen fehlt mir sowieso die ausreichende Gelegenheit, das Geld auszugeben. Also gehe ich nach der Arbeit nicht zu „Plus“ wegen des billigen Katzenfutters und zu „Aldi“ wegen der preiswerten Butter. Ich gehe in einen großen Laden gegenüber und kaufe ein. Punktum. Als meine Freundin sich darüber beschwerte, daß unsere Haushaltskosten gestiegen seien, bot ich ich an, künftig einfach mehr als die Hälfte unserer laufenden Ausgaben zu übernehmen. Ein zweiter Sündenfall. Denn die gleichberechtigte Kostenteilung war bis dahin immer ein Prinzip unserer gleichberechtigten Partnerschaft gewesen.

Meine Freundin arbeitete zu dieser Zeit noch auf einer 30-Stunden-Stelle und bildete sich nebenher mit einem Zweitstudium weiter. Sie konnte über ihre Zeit also selbstbestimmter verfügen und arbeitete zudem oft zu Hause. Sie hatte also das, was mir fehlte, ihr fehlte, was ich besaß. „Tausche Zeit gegen Geld“ wurde die Grundlage vieler unserer Vereinbarungen. Zum Ausgleich für ihre etlichen staubsaugend verbrachten Stunden gewöhnte ich mir an, im Restaurant die Rechnungen zu bezahlen oder uns einen Tapezierer zu gönnen, statt das Wohnzimmer selbst zu renovieren. „Das ist es mir nicht wert!“, wurde einer meiner Lieblingssprüche.

Der dritte Schritt zu meiner Paschaisierung vollzog sich in Minuteneinheiten. Jene Minuten, die ich mir angewöhnte, später nach Hause zu kommen. Zuerst war es mir noch peinlich, nie mehr als erste den Schlüssel im Schloß umzudrehen. Mit der Zeit wurde es immer selbstverständlicher, daß die Katze schon gefüttert, der Hund schon gekämmt, die Post schon durchgeschaut war, wenn ich heimkam. Hatte ich in den ersten Monaten noch zerknirscht angerufen, wenn die Überstunden unvermeidlich geworden waren, reichte bald ein knappes „Schatz, heute wird es etwas später“. Irgendwann mußte ich nicht mal mehr das sagen.

Seitdem war ich ganz frei, über meine Zeit zu verfügen. Ich fehlte ja zu Hause nicht mehr. Nicht zum Füttern der Tiere, nicht zum Füllen des Kühlschranks. Selbst unsere Freunde hatten sich daran gewöhnt, daß ich nicht rechtzeitig zu meiner eigenen Verabredung kam. Allen hausfraulichen Verpflichtungen enthoben, konnte ich mich gar nicht mehr verspäten. Jetzt konnte ich sogar wieder ein Feierabendgläschen trinken, das gar nicht unbedingt geschäftlich nötig war. Oder auf dem Nachhauseweg ein wenig bummeln gehen. (Natürlich habe ich meiner Freundin immer eine Kleinigkeit aus der Stadt mitgebracht.)

Es wundert mich längst nicht mehr, daß Manager alles rationalisieren, nur nicht ihre eigene Arbeit. Überstunden machen frei. Frei von der Verpflichtung, ein sozial kompatibler Mensch zu sein, frei von jeglicher Reproduktionsarbeit. Überstunden stärken nicht nur die eigene Position auf der Karriereleiter, sondern auch die auf der Haushaltsleiter.

Seit ein paar Monaten ist unsere Beziehung wieder im Lot. Meine Freundin hat einen neuen Job. 40 Stunden plus x. Jetzt kommt sie oft noch später als ich nach Hause. Seitdem stehen wir beide um 6.00 Uhr auf. Und weil sie nun vor mir aus dem Haus geht, habe ich endlich wieder Zeit zum Staubsaugen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen