: Warum Frauen eben nicht spitze sind
Quoten helfen wenig, wenn die Männer bei der Arbeitsteilung im Privaten nicht mitspielen ■ Von Thomas Gesterkamp
Auf der Düsseldorfer Frauenmesse „top '97“ wird sie wieder zu hören sein: die alte Forderung nach der „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Gleichstellungsbeauftragte und Politikerinnen prangern die vielfältige Benachteilung des weiblichen Geschlechts in der Arbeitswelt an. Wissenschaftliche Expertinnen belegen, daß Schülerinnen gut in Mathematik sind – und später trotzdem Pädagogik statt Elektrotechnik studieren. Zumindest am Rande beklagen alle Beteiligten mangelnde Kita-Plätze und ein Schulsystem, das stillschweigend voraussetzt, daß Mami mittags kocht. Doch ein Thema ist nur selten Diskussionsgegenstand: Welche Rolle spielen eigentlich die Männer als Partner oder Kollegen? Gleichstellung in der Arbeitswelt – ein Thema von und für Frauen?
Die Ingenieurin mit dem Einser- Diplom wird mit hoher Wahrscheinlichkeit einen schlechter bezahlten Job ergattern als ihr männlicher Studienkollege mit der Drei auf dem Abschlußzeugnis. Frauen haben es schwer in technischen Berufen, und das ist zu Recht ein Thema von Gleichstellungspolitik. Ignoriert wird dabei aber häufig die private Situation unserer Muster-Ingenieurin: Sie ist Anfang 30 und wünscht sich ein Kind, ist aber mit einem Akademiker befreundet, der beruflich genauso ehrgeizig ist wie sie. Ihr Kommilitone von der Uni dagegen – der mit den mittelmäßigen Noten – hat sich mit einer medizinisch-technischen Assistentin zusammengetan, die nach zehn Jahren in untergeordneter Position fast froh ist, den Laborkittel auf Zeit mit der Küchenschürze vertauschen zu dürfen.
Für Väter ist die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere auf den ersten Blick kein Problem. Sie haben schließlich eine Frau zu Hause. Die muß keineswegs von morgens bis abends am Herd stehen, sondern darf ruhig hinzuverdienen – solange das keine Schwierigkeiten bei der Betreuung des Nachwuchses aufwirft. Vereinfacht ausgedrückt: Männer vereinbaren Kinder und Karriere, indem sie Vollzeit arbeiten, den Löwenanteil des Einkommens beisteuern und zwischen Abendessen und Tagesschau eine halbe Stunde auf dem Teppich herumtollen.
Männersolidarität in einem durchschnittlichen deutschen Betrieb: Die Kollegen machen sich lustig über einen Vater, an dessen Hemd ein Vorgesetzter Reste von Babybrei entdeckt hat. Ein Mann erntet spöttische Bemerkungen, weil er das gesetzlich garantierte Angebot wahrnimmt, wegen der Krankheit seiner Kinder zu fehlen. „Der hat wohl keine Alte zu Hause“, heißt es mitleidig auf dem Gang, als ein Mitarbeiter wegen eines Kindergeburtstages ausnahmsweise früher gehen will. Dieselben Kollegen, die sich über bekleckerte Ärmel amüsieren, halten ihre beruflichen Aufgaben für so bedeutsam, daß sie erst abends gegen neun Uhr ihre Wohnung betreten – wenn der Nachwuchs bereits in Mamas Armen eingeschlummert ist.
Die Arbeitswelt ist auf Männer zugeschnitten, die keine Kinder oder eben eine Frau für ihre Kinder haben. Die männliche Vorstellung vom Beruf heißt Vollzeit bis zur Rente; sie setzt die weibliche Rolle der Hausfrau oder Hinzuverdienerin stillschweigend voraus. Wer Frauen beruflich fördern will, muß über die Männer reden, über ihr Verhalten am Arbeitsplatz und in der Familie. Weniger als ein Prozent der männlichen Arbeitnehmer im Alter zwischen 30 und 50 hat eine Teilzeitarbeitstelle. In dieser Phase, in der Kinder großgezogen werden, organisieren nahezu ausschließlich Mütter die Arbeit des Alltags.
Dieses private Arrangement ist nicht das Ergebnis eines verschwörerischen Männerbundes, sondern wird in der Regel von beiden Partnern getragen. Frauen können auch deshalb beruflich nicht spitze sein, weil sie auf den Job ihres Mannes mehr Rücksicht nehmen als umgekehrt. Selbst Mütter mit Vollzeitstelle machen sich in der Familie selten so rar, wie das umgekehrt viele Väter tun.
Unausgesprochen richten sich viele Frauen immer noch nach einem Gesetz, das es seit der Ehe- und Familienrechtsreform von 1976 gar nicht mehr gibt. Bis dahin war Müttern eine Erwerbstätigkeit nur dann gestattet, wenn sich dies mit ihren „Pflichten in Ehe und Familie“ vereinbaren ließ – alles andere galt als Scheidungsgrund. Vor 1957 hatten Männer gar das Recht, ein Arbeitsverhältnis ihrer Frau eigenmächtig zu kündigen. Solche Entmündigung ist abgeschafft, doch es gibt nach wie vor eine hohe weibliche Bereitschaft, zurückzustecken. Genügsam fügen sich Mütter in ihre traditionelle Rolle. „Es ist für alle Beteiligten besser, wenn der Mann voll im Berufsleben steht und die Frau zu Hause bleibt und sich um den Haushalt und die Kinder kümmert“ – diesem Satz stimmen 47 Prozent der westdeutschen Frauen zu, vermeldet der jüngste Datenreport des Statistischen Bundesamts.
Mama macht frei, wenn im Kindergarten vor Masern oder Mumps gewarnt wird. Sie spricht mit dem Lehrer, wenn der Sohn beim Klauen erwischt worden ist. Und später pflegt sie die Schwiegermutter, um deren Abschiebung in ein Altenheim zu vermeiden. So stößt das berufliche Engagement vieler Frauen nicht nur an von außen bestimmte, sondern auch an selbst gewählte Grenzen. Sie räumen der Erwerbsarbeit ihres Partners Vorrang ein.
Mit einem Mann zusammenzuleben, dessen Kernaufgabe die finanzielle Grundversorgung der Familie ist, hat seinen Preis. Frauen ziehen mit Kind und Kegel um, wenn von ihren Männern Mobilität verlangt wird. Sie verzichten damit nicht nur auf die eigene Karriere, sondern opfern auch mühsam aufgebaute private Netzwerke gegenseitiger Hilfe unter Nachbarn und Freundinnen. Frauen nehmen in Kauf, daß ihr Partner zwei Stunden täglich auf der Autobahn verbringt und deswegen noch später nach Hause kommt. Sie selbst würden in weiter Entfernung von ihrer Wohnung nie eine Stelle antreten. Sie geben sich mit einem dürftig entlohnten Job im Stadtteil oder in der Nähe der Kindertagesstätte zufrieden.
Es gibt eine Menge junger Paare, die von geteilter Elternschaft träumen. Doch von den guten Vorsätzen bleibt bei Männern wie Frauen meist wenig übrig. Nur eine ganz kleine Minderheit hält an diesem Modell über einen längeren Zeitraum fest. Es überwiegt ganz eindeutig das gewohnte, vielleicht mit kleinen Zugeständnissen angereicherte Arrangement. Von „verbaler Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ spricht der Soziologe Ulrich Beck. Höflicher formuliert: Der Wandel in den Köpfen hat stattgefunden, doch der Rhetorik der Gleichstellung steht eine verblüffende Unbeweglichkeit in der Praxis gegenüber. Dem Wunsch vieler Frauen an Teilhabe im Beruf, an der „Hälfte des Himmels“, fehlt das private Gegenstück. Männer zeigen wenig Interesse an der „Hälfte der Erde“, denn sie müßten auf Karriere und mehr Ansehen im Beruf verzichten.
Aus der Sicht vieler Männer warten zu Hause stumpfsinnige Tätigkeiten wie Putzen oder Waschen – Notwendigkeiten, deren gesellschaftliche Anerkennung gegen null geht. Kinderbetreuung hat wenigstens noch ein höheres Sozialprestige als Staubwischen: Der liebevolle Papa zeigt sich gerne in der Öffentlichkeit. Den Spruch der älteren Dame, die den kreischenden Säugling am Postschalter mit den Worten „Dir fehlt wohl die Mama“ kommentiert, steckt er locker weg. Schon weniger locker nimmt er es, jahrelang nachts nicht durchschlafen zu können und stets aufs neue vollgeschissene Windeln zu wechseln.
Scheinbare Kleinigkeiten signalisieren den engagierten Vätern ihren Status als Grenzgänger in einer weiblich geprägten Welt: Der Wickeltisch steht auf der Damentoilette, die Ergonomie im Kindergarten sieht Zwei-Meter-Menschen nicht vor. Ein Hersteller von Babynahrung bietet „Mütterberatung“ an, das „Eltern-Kind-Abteil“ im Zug hieß bis vor kurzem „Mutter-Kind-Abteil“. Wenn Frauen sich auf der Spielplatzbank über Rückbildungsgymnastik austauschen, hat mann nicht viel beizusteuern. [Hatte ich als Frau allerdings auch nicht. So was hat mich nie vom Hocker gerissen. Lieber habe ich ein Buch gelesen, um der Ödnis der Spielplatzgespräche aus dem Weg zu gehen; d. sin] So wird der private Alltag der „neuen Väter“ zum Hindernislauf.
Für fast alle Frauen bedeutet die Geburt von Kindern eine Unterbrechung ihrer Erwerbsbiographie. Dem Bundesfamilienministerium zufolge nehmen über 90 Prozent der Mütter für mehr als sechs Monate Erziehungsurlaub; nur jede 40. Frau arbeitet bis zu 19 Wochenstunden bei ihrem Arbeitgeber weiter. Weniger als 50 Prozent der Erziehungsurlauberinnen kehren in ihren alten Betrieb zurück. An den althergebrachten Geschlechterrollen hält ein Teil der Mütter manchmal ein Jahrzehnt und länger fest. Dennoch gehört die Klage über verpaßte berufliche Chancen zum Dauerbrenner abendlicher Beziehungsgespräche. Von solchen Ansprüchen ihrer Partnerinnen fühlen sich Männer häufig überfordert. Es gibt ihn nicht, den Familienprinzen, der 10.000 Mark im Monat verdient, die Kinder morgens in die Schule bringt und mittags gut gelaunt nach Hause kommt.
„Männlichen Karriereverzicht auf Zeit“ propagiert der Berliner Arbeitszeitberater Andreas Hoff. Doch gerade, wenn das erste Kind geboren wird, gehen viele Männer erst recht feste arbeiten. Ihr wichtigstes Argument lautet: „Ich verdiene einfach mehr.“
Das Entlohnungsgefälle zwischen Männern und Frauen liegt auch darin begründet, daß Frauen Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit von Anfang an miteinkalkulieren. Junge Frauen wählen deshalb häufig Berufe, von denen sie annehmen, daß sie sich mit einer späteren Mutterrolle vereinbaren lassen. Sie konzipieren ihren Lebensentwurf frühzeitig als Patchwork. Auf die zu Beginn noch volle Stelle folgen Mutterschutz und Babypause, später vielleicht Teilzeitarbeit oder auch Totalausstieg. Eine solche Erwerbsbiographie bringt fast zwangsläufig berufliche Nachteile mit sich. Die Rückkehr an den früheren Arbeitsplatz nach längerer Pause ist häufig nur zu schlechteren Bedingungen möglich: Die alte Stelle ist längst besetzt, die Abteilung umstrukturiert, die geforderten Qualifikationen haben sich verändert. Erwerbsarbeit und Familie nicht nebeneinander, sondern nacheinander betreiben zu wollen, ist eine gefährliche Strategie, die den beruflichen Erfolg einschränkt.
Nicht nur die Unternehmensleiter alter Schule sehen in den Frauen ein personalwirtschaftliches Risiko. Nach wie vor spekulieren sie bei Bewerbungen von Frauen über mögliche Schwangerschaften – und darüber, daß eine Mutter nach dem beruflichen Wiedereinstieg nur bedingt einsatzbereit wäre. Wenn dagegen Männer auf Jobsuche ihren Familienstand als „verheiratet“ angeben, gilt das als Pluspunkt. Es signalisiert: Ob ich Kinder habe oder nicht, spielt keine Rolle – denn ich lebe zusammen mit einer Hausfrau oder Zuverdienerin, die sich um alles kümmert, was mich vom Arbeiten abhalten könnte. Fast alle Stellenprofile sind auf den männlichen Haupternährer zugeschnitten.
Frauen, die Karriere machen wollen, entscheiden sich aus diesem Grund überwiegend gegen die Gründung einer Familie. 62 Prozent der weiblichen, aber nur 16 Prozent der männlichen Führungskräfte leben ohne Kinder, ergab im Jahre 1995 eine Studie der Zeitschrift Capital. Besonders gut verdienende Mütter können sich eine vergleichbare Entlastung zum Beispiel durch die Anstellung einer Haushälterin erkaufen.
Die meisten Frauen mit Kindern sehen sich am Arbeitsplatz einer indirekten Diskriminierung ausgesetzt: Wegen ihrer „Doppelbelastung“ können sie den Anforderungen an Mobilität oder Verfügbarkeit nicht in gleichem Maße gerecht werden wie ihre männlichen Kollegen, die das Hausfrauenmodell praktizieren. Die private Arbeitsteilung entpuppt sich als entscheidende Barriere der Frauenförderung. Quoten und Gleichstellungspläne helfen wenig, wenn der eigene Partner nicht mitspielt.
Männer lassen ihre Arbeit als zentralen Bestandteil ihrer Identität ungern in Frage stellen. Unter den Erziehungsurlaubern sind nur 1,5 Prozent Männer. In einer Studie des Familienministeriums gibt die erstaunliche Zahl von 97 Prozent der Väter an, nach der Geburt habe sich beruflich für sie nichts verändert. „Auch die Arbeitgeber wissen natürlich, daß sie sich nach wie vor auf die Vollzeitverfügbarkeit der Männer verlassen können. Und solange dies so ist, wird es in der Arbeitswelt keine Gleichbehandlung von Mann und Frau geben“, resümiert Unternehmensberater Hoff.
Mehr Chancen im Beruf haben Frauen nur dann, wenn auch die männliche Erwerbsbiographie zum Flickwerk wird, wenn die berufliche Laufbahn ihrer Partner und Kollegen private Anforderungen widerspiegelt. Aus der Sicht der Unternehmen betrachtet, ist dieses Szenario alles andere als erwünscht. „Lückenlose Tätigkeitsnachweise“, wie sie in der Regel nur Männer anbringen können, sind in den Augen der meisten Personalchefs nach wie vor ein Pluspunkt. An ihre Stelle träten, in der schönen Utope, unkalkulierbare Bruchstellen bei beiden Geschlechtern.
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