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„Wir sind gar nicht chaotisch“

Lesbische Mütter und schwule Väter müssen in allen Lebenslagen um ihre Kinder kämpfen  ■ Von Andrea Böhm

Ulrike Hempel* ist ein Mensch, der auftauchende Probleme gern pragmatisch löst. Kleine und große. Zum Beispiel die vermeintliche Unvereinbarkeit zwischen ihrem Kinderwunsch und dem Umstand, daß sie lesbisch ist und die Vorstellung „gruselig“ findet, mit einem Mann zu schlafen. Also begab sie sich mit einem eher kargen Kriterienkatalog auf die Suche nach einem Samenspender. Zwei negative Aidstests sollte der Kandidat vorweisen sowie vollständige Sätze sprechen können. Und nach der kleinen, aber so wichtigen Spende wieder völlig aus dem Leben der 31jährigen verschwinden. Häßlich hätte er ruhig sein dürfen. „Meine Gene hätten sich schon durchgesetzt.“

Laut Embryonenschutzgesetz dürfen in Deutschland nur ÄrztInnen eine künstliche Insemination vornehmen – doch die zeigen sich bislang unwillig, auf diese Weise Lesben zu einem Kind zu verhelfen. Selbst ist die Frau, dachte sich die Pädagogikstudentin Hempel aus Berlin-Pankow. Denn es macht sich nicht strafbar, wer die Insemination selbst an sich durchführt – mit einem Gerät, das Ulrike Hempel gestenreich als eine Kombination aus Diaphragma und Röhrchen beschreibt. Der Spender, vermittelt über einen Freund, lieferte brav – drei Tage lang. „Am Ende“, erinnert sie sich, „war der 'n bißchen blaß.“

Für romantische Rituale bleibt bei diesem Zeugungsakt kein Platz. Künstliche Insemination ist handwerkliche Arbeit. Doch wer denkt noch an so was, wenn neun Monate später das Wunschkind zur Welt kommt: Gesine, heute drei Jahre alt und strohblond.

Ganz insgeheim, sagt ihre Mutter spitzbübisch lächelnd, habe sie ja schon gehofft, mit ihrer unorthodoxen Familiengründung diese Gesellschaft samt ihren Institutionen „ein bißchen“ in Unruhe zu versetzen. Die aber reagierten eher wohlwollend neugierig: Ihre Eltern waren – und sind – glücklich über das Enkelkind. Auf dem Pankower Jugendamt rief die zuständige Mitarbeiterin ganz angetan: „Wissen'se wat? Sie sind die erste mit so 'nem Fall.“ Auch der Auftritt in Arabella Kiesbauers Talk-Show brachte nicht etwa die Moralapostel in Wallung, sondern die Lesben in Bewegung. Per Telefon mußte Ulrike Hempel in den folgenden Tagen und Wochen unzählige Male Auskunft über künstliche Insemination geben. „Manche standen sogar bei mir vor der Tür, um sich beraten zu lassen.“ Unter lesbischen Frauen, glaubt sie, beginne ein „richtiger Babyboom“.

Unterdessen wuchs und gedieh Tochter Gesine und bewies schon bald, daß sie wie ihre Mutter auftauchende Unklarheiten möglichst schnell und direkt beseitigt. „Wo ist Papa?“ fragte sie im zarten Alter von knapp zwei Jahren. Offensichtlich hatten ihre Beobachtungen im Kindergarten ergeben, daß ihr Zuhause mit Mama Ulrike, Freundin und Ko-Mutter Carola und deren Sohn Sven nicht ganz der typischen Kleinfamilie entsprach. Besagter Freund arrangierte ein Treffen zwischen Gesine und ihrem leiblichen Vater. „Seitdem gibt sie sich damit zufrieden, daß ihr Vater woanders wohnt und arbeitet“, sagt Ulrike Hempel. „Aber das Thema wird später wieder auftauchen.“ Und es wird ohne Umschweife besprochen werden.

Zum „lesbischen Babyboom“ gedenkt sie, ein weiteres Kind beizutragen. Dieses Mal will der Spender, ein langjähriger schwuler Freund, die Rolle und Verantwortung des Vaters übernehmen. Ulrike Hempel verwahrt sich mit allem Nachdruck gegen die Vermutung, sie wolle sich nun doch auf das traditionelle Vater-Mutter- Kind-Modell zurückziehen. Aber auf den Verdacht würde bei dieser Konstellation wohl keiner kommen. Eher schon werden die Damen im Jugendamt wieder ausrufen können: „Wissen'se wat? Sie sind die erste.“

Auch die Familie Bergmann* darf man in dieser Hinsicht zur Avantgarde zählen. Daß ein Sohn nach der Scheidung der Eltern zum schwulen Vater zieht und kurz darauf ebenfalls sein Coming- out hat, bedient eine Vielzahl altbekannter Ängste und Vorurteile, die noch bis vor kurzem Eingang in Gerichtsurteile fanden: Homosexuelle Eltern, so 1988 die Entscheidung des Berliner Landgerichts, seien eine „Gefahr für die Selbstfindung eines Jugendlichen“.

Robert Bergmann findet, daß er seinem Sohn Arne größtmögliche Freiheit zur Selbstfindung ermöglicht hat. Das Ergebnis beschreibt er mit ungebremstem Vaterstolz als einen selbstbewußten unabhängigen 18jährigen, „um den ich keine Angst haben müßte, wenn mir mal was zustoßen sollte“. Daß der Junior schwul ist... C'est la vie. „Ich wäre ja gern anders als er“, sagt Arne, vermeintlich zerknirscht. „Aber das klappt halt nicht.“

Jedenfalls wird er nicht die gleichen Stationen durchlaufen wie sein Vater. Für den galt in der DDR der siebziger Jahre unwiderruflich, daß er seine Homosexualität verstecken mußte, heiraten und Kinder in die Welt setzen würde. Einen Sohn, eine Tochter. Nicht, daß ihm das im nachhinein irgendwie leid tut. Als die Ehe – parallel zur DDR – 1990 kaputtging, stellte sich bei Robert Bergmann nicht etwa ein Gefühl der Befreiung, sondern der Depression ein. „Ich bin ein Familientier“, sagt der 45jährige Energieberater. „Mir fehlte plötzlich die Geborgenheit.“

Ein Stück davon hat er sich mit Arne in einem schön gelegenen Einfamilienhaus in Brandenburg zurückgeholt – einer bürgerlichen Idylle mit Garten, Teich und quakenden Fröschen. „Klar will ich Kinder haben“, sagt Arne bei Kaffee und Erdbeerkuchen im Garten. „Die Frage ist nur wie.“ „Mußt dich halt doch mal mit einer Frau zusammentun“, rät der Vater und erntet eine Grimasse. „Irgendwie“, sinniert Bergmann senior, „hatte ich es da leichter.“

Ganz aussichtlos ist der Kinderwunsch von Bergmann junior nicht. Kinder zu adoptieren ist homosexuellen Paaren mangels Trauschein zwar verwehrt, nicht aber schwulen oder lesbischen Einzelpersonen. Und zur Aufnahme eines Pflegekindes fällt die Ehehürde ganz weg. Dafür kann man als schwuler Pflegevater jedoch Sachen erleben, die einen an vielem zweifeln lassen: unter anderem am menschlichen Kompaß so mancher Bürokraten.

Dabei personifiziert Reiner Kerner* jenen Vatertyp, nach dem gerufen wird: Für die Kinder hat er seinen Job als Erzieher aufgegeben. Er kann kochen, waschen, schimpfen, trösten. Und er kann kranke Kinder pflegen. Was für seine eine besondere Bedeutung hat: Sie sind alle HIV-positiv. Reiner Kerner hatte ihre drogenabhängigen Mütter über seine Arbeit bei der Aids- und Drogenhilfe kennengelernt. Vier Jungen hat er in den vergangenen zehn Jahren aufgenommen. Sein Pech: Der Kinder wegen war er 1987 mit Francisco und Mathias, beide ein halbes Jahr alt, und seinem damaligen Partner ins Grüne gezogen – und damit in den Bereich des Jugendamtes Reinickendorf. Dieses verschrieb sich fortan dem Kampf gegen schwule Pflegeeltern.

Nach einem Jahr hatte die Behörde zum ersten Mal Erfolg: Mit einer Mischung aus bürokratischen Tricks und Überfalltaktik nahmen ihm Jugendamt und Polizei Mathias während eines Schwimmbadbesuchs ab. Vor dem Berliner Landgericht verlor Reiner Kerner seine Klage mit eben jener Begründung, die schwule Väter als „Gefahr für die Selbstfindung eines Jugendlichen“ denunzierte. Das, so erinnert er sich heute, „war einer der schwärzesten Tage in meinem Leben“. Ein weiterer sollte ein paar Jahre später folgen. Kerner gewann den Kampf um Francisco – und nahm 1989 Jonas auf. Sieben Jahre danach tauchte dessen Mutter wieder aus der Drogenszene auf, versprach, sich in einem Methadonprogramm von ihrer Sucht zu befreien – und forderte ihren Sohn. Kinderpsychologe und Gericht waren dagegen, worauf das Jugendamt das Sorgerecht an sich zog, den schreienden und tobenden Jonas während einer Untersuchung im Krankenhaus mit der Polizei abholte – und ihn der Mutter gab.

Heute leben wieder zwei Kinder bei Reiner Kerner: Francisco und der 15jährige Hajo aus Brandenburg, ebenfalls HIV-positiv. Seine Eltern sind geschieden. Er ist bei der Großmutter aufgewachsen. Die starb, als er elf Jahre alt war. Hajo lebte anderthalb Jahre allein in ihrer Wohnung, bis er ins Heim kam. Das Heim holt ihn nach einer Ferienfahrt mit Kerner und der Aids-Hilfe nicht mehr ab. Das zuständige Jugendamt in Brandenburg stellt im Eiltempo einen Pflegevertrag aus. Einen Monat später finden die Behörde und der leibliche Vater heraus, daß Reiner Kerner homosexuell ist. Hajo soll zurück ins Heim. Der aber will bleiben und büchst aus Angst, abgeholt zu werden, erst mal aus.

Dieses Mal finden Kerner und sein Anwalt einen Richter, der von derartigen Methoden überhaupt nichts hält: Er überträgt dem schwulen Pflegevater sogar das Sorgerecht für Hajo. „Ich hab' doch immer gesagt“, erklärt der, „daß mir das mit dem Schwulsein egal is', solange sie mir nich' an die Wäsche gehen.“ Reiner Kerner grinst und beugt sich mit seinem neuen Pflegesohn über dessen Schulzeugnis, während Francisco rechnet, wieviel Geld er von der Oma für seine Noten bekommt. „Nur 'ne drei in Sport“, mault er. „Dabei hab' ich doch 'ne Ehrenurkunde gekriegt.“ Punkt zwei versammeln sie sich vor dem Fernseher – um sich selbst zu sehen. Sie waren in Bärbel Schäfers Talk-Show eingeladen: Bilderbuch-Familie trifft Chaoten-Familie. „Wir sind nicht chaotisch“, sagt Francisco resolut. Für das Chaos sorgen andere.

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