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■ Bundestag distanziert sich vom Christopher Street DayVon Homos, Liebe und Selbsthaß

100.000 Lesben, Schwule und ihre heterosexuellen Freunde werden heute durch Berlin paradieren. Manchen von ihnen ist dieser Spaziergang alle Jahre wieder eine nette Pflicht: Christopher Street Day – da läßt man sich sehen. Doch es werden wieder Tausende vor allem junger Homosexueller mitmachen, die es eine Menge Überwindung kostet, nicht nur vom Straßenrand aus zuzuschauen. Weil sie Angst haben, als Homosexuelle erkannt zu werden. Deshalb ist diese Demonstration ein politisches Ereignis, selbst dann, wenn keine Transparente mit politischen Forderungen präsentiert werden.

Dieser Marsch in Berlin – sowie die kommenden in Köln oder München – wirkt aufmunternd. Ein öffentliches Zeichen. Von Jungen und Alten. Von Transsexuellen und Kerlen, Tunten und Tussen. Von Männern und Frauen. Sie ermutigen alle, denen aus Angst vor Entdeckung ihrer anderen Sexualität die Knie schlottern.

Es hätte dem Bundestag daher gut angestanden, die Demonstranten zu unterstützen. Doch die Abgeordneten lehnten vorgestern abend eine von den Grünen formulierte Grußadresse an die Teilnehmer der Christopher-Street-Tage ab. Die SPD verweigerte dem Antrag die Zustimmung. Die Begründung erstaunt. „Heiße Luft“ wollten die Sozialdemokraten nicht unterstützen. Das sagt dieselbe Partei, die zu einem ähnlichen Antrag in Nordrhein-Westfalen ja sagte. Und dieselbe, die sonst flink wohlfeile Deklarationen zu unterbreiten weiß.

Daß die Regierungsparteien nein sagten, überrascht nicht minder. Sitzen doch in ihren Reihen Betroffene. Sie sitzen auf den Hinterbänken, in den Gremien und am Kabinettstisch. Und schweigen. Sie nehmen hin, daß Homosexuelle nicht einmal anerkannt werden. Und, schlimmer noch: Daß dies auch so bleibt. In ihren Nischen fühlen sie sich offenbar geborgen genug.

Dieser Bonner Vorgang wirft die Frage auf, ob die Idee des Outings nicht doch klüger war als bislang diskutiert. Warum soll man diese Politiker nicht daran erinnern, wem sie eigentlich ihre Posten verdanken? Wir sind die Wähler!

Und diese Episode läßt zudem den Schluß zu, daß das Gerede vom Ende der Homobewegung so gefährlich wie unpassend ist: Ohne den politischen Druck der Homos, ohne einen „Aufstand der Perversen“ (Rosa von Praunheim) werden die Homos in CDU, FDP und SPD ihren Selbsthaß nicht überwinden. Wir helfen Ihnen gern! Ulrike Fokken & Jan Feddersen

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