: Häuser statt Überraschungseier
Prozeßauftakt gegen Jürgen Schneider: Wie andere Spielzeug aus Schokoeiern habe er Gebäude gesammelt, sagt die Verteidigung ■ Aus Frankfurt K.-P. Klingelschmitt
Die Verteidigung von Dr. Jürgen Schneider baut vor. Mildernde Umstände seien zu berücksichtigen, so die Forderung der Verteidigung beim gestrigen Prozeßauftakt, falls die 29. Große Strafkammer am Landgericht in Frankfurt am Main dazu neige, ihren Mandanten wegen „Betrug und Kreditbetrug“ (Anklage) zu verurteilen. Nicht nur, daß Schneider nicht alleine für die Anhäufung des Schuldenbergs von mehr als fünf Milliarden Mark zur Verantwortung gezogen werden könne. Dem Kreditnehmer aus Königstein hätten schließlich die Banken als willige Kreditgeber beiseite gestanden.
Schneider sei „Opfer“ seiner Obsession gewesen. So wie andere Spielzeug aus Überraschungseiern sammeln und sich dabei in Unkosten stürzen, habe Schneider wertvolle Immobilien gesammelt. Den Objekten seiner Begierde sei er „mit einer Besessenheit nachgejagt“, die mit ihren Wurzeln im „kulturhistorischen Verständnis, aber auch im Verständnis der Moderne“ seines Mandanten fest verankert sei: Schneider habe die „tragende Idee“ gehabt, in den Zentren der deutschen Großstädte „etwas Bleibendes“ zu errichten. Diesem Ziel habe er sein Privatleben geopfert. Das alles tragen zwei der drei Verteidiger von Schneider mit großem Ernst und zur Erheiterung nicht nur der Staatsanwaltschaft vor.
Irgendwie traurig sitzt der alt aussehende Mann (63), flankiert von seinen Advokaten, da auf der Anklagebank. Fünf „kulturhistorische, aber auch im Verständnis der Moderne“ herausragende Objekte in Leipzig, Berlin und Frankfurt am Main, für deren Erwerb sich Schneider bei diversen Banken Kredite in dreistelliger Millionenhöhe mit falschen Angaben und gefälschten Unterlagen erschlichen haben soll, hat sich die Anklagebehörde herausgepickt – insgesamt besaß Schneider rund 100 Immobilien. Fünf Objekte, bei denen Schneider die Banken abgezockt und die „Handwerker beschissen“ habe, wie die Staatsanwaltschaft unter Berufung auf eine Aussage von Schneider vor Ermittlungsbeamten des BKA süffisant vorträgt.
Mit auf der Anklagebank sitzt auch der Bauingenieur der Schneider AG, Karl-Heinrich Küpferle (65). Er soll für seinen Chef Baupläne „geschönt“ haben. Geschädigte Bank war die Deutsche Zentralboden Kreditbank, eine Tochter der Deutschen Bank. Der sollen Schneider und Küpferle für das Objekt „Zeil-Galerie“ in Frankfurt am Main mehr als 400 Millionen Mark illegal abgetrotzt haben. „Beihilfe zum Kreditbetrug und Urkundenfälschung“ wirft die Staatsanwaltschaft dem Bauingenieur deshalb vor.
Nicht auf der Anklagebank saß gestern Claudia Schneider-Granzow, die Ehefrau und Teilhaberin (Schneider GbR) des Hauptangeklagten. Nach dem Willen der Kammer soll der Anklagepunkt „betrügerischer Bankrott“ in einem zweiten Verfahren verhandelt werden: Dann wird sich auch Frau Schneider-Granzow wegen Beihilfe verantworten müssen.
Im aktuellen Verfahren gegen Schneider und Küpferle ist sie lediglich Entlastungszeugin der Verteidigung. Etwa dafür, daß es sich bei dem überraschenden Abgang des Ehepaares im April 1994 keineswegs um eine Flucht gehandelt habe. Das sei in den Medien immer falsch dargestellt worden, so Rechtsanwalt Christoph Rückel. In diesem „Erholungsurlaub“ (Schneider) in Florida habe der Mann „endlich auch einmal Zeit für seine Frau“ gehabt. Und die 240 Millionen Mark, die Schneider und Schneider damals über London in die Schweiz transferierten? Die seien von Schneider und Schneider nicht angetastet worden. Heute gehöre das Geld zur Konkursmasse, mit der die geprellten Handwerker zufriedengestellt werden sollten. Auch mit dieser Äußerung löste die Verteidigung Heiterkeit bei der Kammer und auf den Rängen aus.
Für die Verteidigung jedenfalls sitzen die Banken unsichtbar mit auf der Anklagebank. Über die Bundesbank, der alle Kreditvergaben über eine Million an eine Person gemeldet werden müssen, hätte jede Bank in Erfahrung bringen können, wie hoch Schneider bereits verschuldet war. Und bei exakter und vom Gesetzgeber vorgeschriebener Prüfung hätte jede Bank auch den tatsächlichen Wert der Immobilien von Schneider AG und Schneider GbR ermitteln können und müssen. Das sieht auch Schneider selbst ähnlich. Die Banken hätten gewußt, daß sie „Risikokredite“ an ihn vergeben haben, sagte er bei seiner ersten Aussage vor Gericht. Er selbst habe sich bei den Angaben für seine Objekte immer an ihrem Wert „in fünf bis sechs Jahren“ orientiert. „Aber die Banken dachten immer, ich rede von der Gegenwart.“
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