: Branchentaugliche Innovationen Von Carola Rönneburg
Vor kurzem sind auch die letzten Angeklagten im Mammut-Mißbrauch-Prozeß von Worms freigesprochen worden; klar und deutlich und mit einer Entschuldigung des Richters. Der Kinderpornohändlerring, den Staatsanwaltschaft und eifrig mitermittelnde Mißbrauch-Expertinnen auffliegen lassen wollten, war gar keiner, befand das Gericht. Was bleibt? „Ein großes Unbehagen“, so die Oldenburger „Wildwasser“-Mitarbeiterin Johanna Pitz in einem Leserbrief an die taz. „Die vermeintlichen Täter/Täterinnen kommen mal wieder davon!“
So ist das aber mit der leidigen Rechtsprechung hierzulande. Vermeintliche Täter/Täterinnen kommen davon, wenn sie freigesprochen werden, und daran wird sich auch so schnell nichts ändern – es sei denn, die Damen von Wildwasser übten endlich einmal ein wenig Selbstkritik. Eines nämlich wurde im Prozeß von Worms überdeutlich: Wildwasser hat auf ganzer Linie versagt. Das schmerzt, das ist zartbitter, aber weder eine in der Untersuchungshaft verstorbene Großmutter noch die Tatsache, daß die Kinder der angeklagten Eltern immer noch in Heimen leben, können die Niederlage in einen Sieg verwandeln.
Wenn die Wildwasser-Beratungsstellen nicht untergehen wollen, müssen sich ihre Mitarbeiterinnen den Herausforderungen der Branche stellen und sich im innovativen Denken üben. Weshalb zum Beispiel gelingt es Sachverständigen immer wieder, die sorgfältig abgetippten Gesprächsprotokolle von Wildwasser-Mitarbeiterinnen und ihren Schützlingen wirkungsvoll anzuzweifeln? Wieso lachen alle so gemein über die anatomischen Puppen? Die Antwort liegt auf der Hand: weil Wildwasser selbst die einfachsten Unternehmerregeln ignoriert. Wer erfolgreich am Markt bestehen will, darf nicht stehenbleiben. So sind etwa die Gesprächsprotokolle, die einen Kindesmißbrauch belegen sollen, zu oft nach dem gleichen Muster aufgebaut. Die Mitarbeiterin schlägt eine sexuelle Handlung vor, die stattgefunden haben könnte, das Kind bestätigt mit „ja“ – früher reichte das, heutzutage jedoch sind solche Aussagen von geringem Wert. Was hier fehlt, ist die Schulung der Mitarbeiterinnen in suggestiven Fragetechniken. Regelmäßige Fortbildungen erhöhen darüber hinaus die Motivation: Wer etwas gelernt hat, möchte das neuerworbene Wissen auch anwenden.
Weiterhin sollte auf keinen Fall die Bedeutung von Imagewerbung unterschätzt werden. Gerade jetzt, nach der Pleite in Worms, muß Wildwasser handeln. Denkbar wären lustig bedruckte T-Shirts für Kinder („Ich war bei Wildwasser – und Du?“), Aufkleber und Plakate („Hier wohnt ein/e vermeintliche Täter/Täterin“) sowie Maniküresets („Wildwasser: Wir sind ausgefeilt“). Und schließlich ist da noch die Sache mit den anatomischen Puppen. Sie könnten längst die Schlümpfe der 90er Jahre sein, wäre ihr Design etwas zeitgemäßer. Zu Mutter, Vater, Nachbar, Großeltern und Geschwistern müßte sich allerdings noch ein Dinosaurier gesellen. Das kann ein paar Probleme vor Gericht geben, aber wie sagte schon Johanna Pitz: „Angeklagte gelten als unschuldig, wenn ihnen die Tat nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Der Umkehrschluß, es habe deshalb kein Straftatbestand stattgefunden, ist nicht zulässig!“
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