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Sauberes Wasser, gelobtes Land

Um Südafrikas Wasserbedarf zu befriedigen, entsteht in Lesotho der höchste Staudamm Afrikas. Die Gesellschaft verändert sich: Bauern werden Bauarbeiter, eckige Häuser ersetzen Rundhütten  ■ Aus Lesotho Kordula Doerfler

Das Dach der Welt ist grün. Tiefe Schluchten graben sich durch die Berge. Überall glitzert es silbrig. Durch fast jedes Tal schlängelt sich ein Bach, Wasserfälle stürzen die Abhänge hinunter. Im Frühjahr, nach der Schneeschmelze, schwellen sie zu reißenden Flüssen an. Die Reise ins Tiefland im Westen dauert dann mehrere Tage. Seit Menschengedenken kann man das Dach der Welt nur zu Fuß oder zu Pferd verlassen. Die wenigen Dörfer klammern sich an die steilen Hänge, zwischen kleinen terrassierten Feldern.

Um sich gegen Kälte, Regen und Schnee zu schützen, wickeln sich die Bergler in dicke, buntgewebte Wolldecken. Die Basutho sind auf ihre Decken so stolz wie auf ihre Pferde und ihre Monarchie. Drei Viertel des kleinen Lesotho bestehen aus unwegsamen Bergen, mehr als 3.000 Meter hoch.

Das „Himmelskönigreich“ ist bitterarm. Sein einziger Schatz liegt hier oben in den Bergen: Wasser. Wasser im Überfluß. Lesotho ist eine der wenigen Gegenden im südlichen Afrika, in denen es regelmäßig und ausgiebig regnet. Das „weiße Gold“ hat das Dach der Welt verändert. Heute erhebt sich dort eine riesige, glatte, leicht geschwungene Betonwand. Wer zu ihren Füßen steht, fühlt sich ameisenhaft. Die Mauer, von Menschen geschaffen, ist 185 Meter hoch und mehr als 700 Meter breit – der höchste Staudamm Afrikas.

Unten ist das gigantische Bauwerk sechzig Meter breit, oben nur noch neun. Auf der Staumauer wird in schwindelnder Höhe eine Straße gebaut. Zwei Masten ragen links und rechts in die Höhe, verbunden mit einem Drahtseil. An ihm hängt der Lastentransport, mit dem das Baumaterial über den Abgrund befördert wird – auch Kräne und Bulldozer.

Das „Lesotho Hochland-Wasserprojekt“ hat die Moderne ans Dach der Welt gebracht. Rund 7.000 Menschen arbeiten derzeit auf der Baustelle. Sie haben Straßen gebaut, ganze Dörfer aus dem Boden gestampft und riesige Tunnel durch die Berge getrieben. Vom kommenden Jahr an soll das wasserhungrige Südafrika von hier aus versorgt werden. Dazu wird der Fluß Senqu, der in Südafrika Oranje heißt, aufgestaut und durch ein Tunnelsystem nach Norden umgeleitet.

Südafrika, das Lesotho von allen Seiten einschließt, ist in weiten Teilen Halbwüste. Sein Wasserbedarf ist immens, zumal der gesamte Subkontinent periodisch von Dürre heimgesucht wird. Die Regierung unter Nelson Mandela hat Millionen von Schwarzen Zugang zu sauberem Wasser versprochen.

Schon die Apartheid-Regierungen hatten erkannt, daß dem industriellen Ballungsraum rund um Johannesburg in absehbarer Zeit das Wasser ausgehen würde. Der bisher genutzte Fluß Vaal reicht schon längst nicht mehr aus. Die „Stadt des Goldes“, in der heute schon rund zehn Millionen Menschen leben, ist eine der am schnellsten wachsenden Städte auf der Welt. Und sie ist die einzige Millionenmetropole, die über keinerlei natürliche Wasserreserven verfügt.

1986 wurde deshalb mit der damaligen Militärregierung von Lesotho der Vertrag über das Wasserprojekt unterzeichnet. Nach fast zehn Jahren Bauzeit tritt das Projekt nun in Phase 1B ein, drei weitere sollen bis ins Jahr 2027 hinein folgen. Ob Südafrika die weiteren Phasen noch verhandeln wird, ist derzeit offen. Der neue zuständige Minister Kader Asmal (ANC) reformiert die Wasserpolitik radikal und will langfristig andere Alternativen prüfen. Mit Wasser soll in Südafrika künftig so sparsam umgegangen werden wie in Israel. Viele weiße Farmer hielten die entsprechende Ankündigung aber für einen Aprilscherz. Vorerst braucht Südafrika Wasser. Sehr viel Wasser.

Das Wasser aus Lesotho zu holen ist immer noch am einfachsten und billigsten. Politisch gilt der Zwergstaat bei den selbstbewußten Nachbarn als unsicherer Kantonist. Immer wieder putschen Polizei und Armee, Ansätze zur Demokratisierung kommen nur stockend voran. Ökonomisch sind die knapp zwei Millionen Basutho vollkommen von dem Riesen nebenan abhängig. Böse Zungen schlagen deshalb vor, Lesotho solle doch die zehnte Provinz von Südafrika werden. Das hört man dort nicht gern. Statt dessen hofft man, daß mit dem Wasserprojekt Wohlstand und Entwicklung Einzug halten. Außerdem wird das Land eigenen Strom produzieren können, den es im Moment aus Südafrika bezieht.

„Hier gab es nichts, keine Straßen, keinen Strom, keine Gesundheitsversorgung, keine Schulen“, sagt der Chef der halbstaatlichen Entwicklungsbehörde für das Projekt (LHDA), Makase Marumo. Das Dorf Katse, Hauptquartier des Wasserprojekts, wurde aus dem Nichts ins Nichts gestampft. Die leitenden Angestellten haben ihre Büros in einem postmodernen Neubau, der über jegliche moderne Infrastruktur verfügt – sogar Telefone. Der Blick nach draußen ist atemberaubend schön.

Gleich daneben liegt eine schmucke Siedlung von Einfamilienhäuschen, für die Ingenieure und Projektleiter. Die Moderne hat viele Neuerungen gebracht. Eine Pizzeria zum Beispiel. Hinter der Bar stehen Kostbarkeiten wie Campari und Fernet Branca, Tribut an die zahlreichen italienischen Arbeiter auf der Baustelle. Abends ist die Bar eine der wenigen Abwechslungen in der Einöde. Nach einer anderen sucht man am besten etwas außerhalb des Dorfes, in den Slumhütten, die dort aus dem Boden geschossen sind. Über die Prostitution, die die Baustelle angezogen hat, spricht man im Hauptquartier nicht gern.

„Das Leben hat sich für uns alle für immer verändert“, sagt Vula Rafutho. Manche Dorfbewohner glauben: zum Schlechteren. Rafutho ist anderer Meinung. Immerhin hat er seit zwei Jahren Arbeit auf der Baustelle. Zwar werden die meisten Jobs nicht weiterbestehen, wenn das Projekt einmal beendet ist. So weit mag er aber heute nicht denken. In Lesotho ist Arbeit rar. Nur die Nähe zu Südafrika sorgt dafür, daß es überhaupt ein Einkommen gibt. Rund 40 Prozent aller arbeitsfähigen Männer verdienen ihr Geld als Wanderarbeiter in den großen Minen im Nachbarland. In den Dörfern leben nur noch Frauen, Kinder und Alte. Die traditionellen Lebensformen sind längst zerstört.

Jetzt verändert sich das Leben noch einmal radikal. Viele Bergdörfer liegen plötzlich an einem riesigen See. „Sie sagen, daß wir schwimmen lernen sollen“, kichert Tsepise Lentsoane. „Aber dafür bin ich zu alt. Hier oben in den Bergen hat doch noch nie jemand schwimmen können. Wozu auch?“ Der Blick der alten Frau gleitet über die tiefblaue Wasserfläche, die neuerdings fast vor ihrer Haustür liegt. Da die letzten beiden sommerlichen Regenzeiten auch in Lesotho ungewöhnlich stark waren, ist der Katse-See entgegen den vorherigen Berechnungen schon zu mehr als zwei Dritteln voll.

Tsepise Lentsoane hat Angst vor dem Wasser. Die Stille der glatten Oberfläche trügt. Durch den gewaltigen Wasserdruck haben die Berge unterirdisch zu arbeiten begonnen. Weil der See schneller vollief als erwartet, waren auch die seismischen Bewegungen im Erdreich stärker. Ende 1995 traten schmale Risse auf. Der längste, rund 1,5 Kilometer lang, läuft mitten durch das Dorf Mapeleng und auch mitten durch die Hütte von Tsepise Lentsoane. Den Spalt hat ihre Familie mit Erde aufgefüllt. Für ungeübte Augen ist er unsichtbar.

„Wir konnten das Zittern spüren“, sagt die alte Fau. Die Dorfbewohner erklärten sich das Beben auf ihre Art: Eine Wasserschlange, die früher in dem kleinen Fluß gelebt habe, versuche jetzt den Wassermassen zu entrinnen. Acht Familien in Mapeleng mußten umgesiedelt werden. Erst jetzt, mehr als ein Jahr später, wurden die neuen Häuser fertig, ein paar hundert Meter oberhalb des alten Dorfes.

Die Risse von Mapeleng verursachten internationale Aufregung und führten zu ersten lautstarken Protesten seitens der Bevölkerung. Insgesamt 57 der rund 70 Familien in Mapeleng haben sich trotz beruhigender Gutachten entschieden, sich ebenfalls neue Häuser weiter oben bauen zu lassen.

Trotz dieser Vorfälle ist der Widerstand gegen das Projekt nur schwach. Das sei nicht überraschend, sagen Kritiker, denn die Berge seien dünn besiedelt und deren Bewohner meist Analphabeten. Ehe der Vertrag mit Südafrika unterzeichnet wurde, ließ sich der König einmal im Hochland sehen. „Was sollten wir schon anders tun, als zu lächeln?“ erinnert sich ein Mitarbeiter der „Kirchlichen Hochland-Aktionsgruppe“, die den Widerstand koordiniert. „Wir hatten doch keine Ahnung.“

„Wir haben die Leute nicht gefragt, ob sie das alles haben wollen“, räumt Projektleiter Marumo freimütig ein. Mit Kritik versucht er offen umzugehen, nachdem das Projekt wegen etlicher Korruptionsskandale ins Gerede gekommen ist. Erst nachdem die Häuptlinge gegen Landenteignung protestiert hatten, wurden die Dorfbewohner einbezogen. Heute gibt es Entwicklungskomitees, die über die Zukunft der Dörfer und über Ausgleichsmaßnahmen – etwa bei Umsiedlungen – mitentscheiden. Beschlüsse werden kollektiv gefaßt, da Land in Lesotho Gemeineigentum ist.

In einem 1990 erstellten Umwelt-Aktionsplan ist die Entschädigung geregelt. Er enthält Richtlinien für die Entwicklung der Landwirtschaft im Hochland und für den Erhalt der Umwelt. Pro Hektar Land bekommt eine Familie 15 Jahre lang 970 Kilo Mais und 30 Kilo Bohnen, erklärt Mahlape Mothepu, für den Aktionsplan verantwortlich.

In Phase 1A des Projekts waren die unmittelbaren Folgen für die Bevölkerung noch gering. Rund 1.000 Menschen mußten wegen des neuen Stausees umgesiedelt werden. In Phase 1B allerdings, so warnen Kritiker, wird das ganz anders werden. Mahlape Mothepu kontert die Kritik gelassen. „Niemand kann uns vorwerfen, daß wir uns keine Gedanken über Auswirkungen für die Menschen machen“, sagt sie resolut. Die Entschädigungen seien in der Bevölkerung so beliebt, daß immer wieder Subsistenzbauern Schlange dafür stünden, obwohl sie die Kriterien gar nicht erfüllten.

Viele Dörfler wollen auch gern in modernen, eckigen Häusern wohnen – Inbegriff des Fortschritts. Der Name eines neuen Dorfs gegenüber von Katse spricht für sich. Weil das alte Dorf heute unter Wasser liegt, wurde ein paar hundert Meter oberhalb ein neues gebaut. Es heißt Kanaan. Das gelobte Land.

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