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Schatzgräber und Verwalter

■ Ein Rückblick auf die Ära Albrecht/Ruzicka an der Hamburgischen Staatsoper

Wohl nicht ganz so tränenreich wie die Übergabe der Kronkolonie Hongkong an China wird der Führungswechsel an der Hamburgischen Staatsoper ausfallen. Am 29. Juni fiel der Vorhang: Mit der letzten Vorstellung von Giuseppe Verdis Falstaff in der Inszenierung von Marco Arturo Marelli, der letzten Premiere der scheidenden Inten-danz Albrecht/Ruzicka, endete eine Ära. Weniger eine der glanzvollen Verführer im Stile des großen Rolf Liebermann als vielmehr eine Ära der tüchtigen Verwalter.

Tatsächlich hatten der Dirigent Gerd Albrecht und der Komponist Peter Ruzicka 1985 eine herkulische Aufgabe übernommen: das Erbe des berühmten Hamburger Opernintendanten Rolf Liebermann, der von 1959-1973 und kommissarisch von 1985-1988 das kriegsgeschädigte Hamburger Opernhaus zu einer der großen Spielstätten zeitgenössischer Opernkunst aufarbeitete.

In seiner Berliner Zeit als Intendant des Radio Sinfonie Orchesters Berlin hatte Ruzicka, promovierter Jurist, den ehrgeizigen und über ein gewaltiges Repertoire verfügenden Gerd Albrecht kennengelernt. Ihrer beider Interesse für die Neue Musik und für große „Unbekannte“wie Alan Pettersson oder Franz Schreker beeinflußte stets das Profil der Hamburgischen Staatsoper. Als 1985 bekannt wurde, wer das krisengeschüttelte Haus an der Dammtorstraße übernehmen würde, grummelten die Hamburger Abonnenten zunächst heftig. Dachten sie doch, es würde fortan eine Avantgarde-Oper nach der anderen regnen.

Doch so sollte es nicht kommen. Ruzicka und Albrecht wollten die zeitgenössische Oper pflegen und vergaben gleich zu Beginn ihrer Amtszeit Kompositionsaufträge an Helmut Lachenmann (Das Mädchen mit den Schwefelhölzern), Wolfgang Rihm (Die Eroberung von Mexico) und Dieter Schnebel (Vergänglichkeit). Später kamen Alfred Schnittkes Faust, Rolf Liebermanns Freispruch für Medea und, nicht zu vergessen, die verspätete Uraufführung von Alexander von Zemlinskys Der König Kandaules hinzu.

Ein beachtliches Arsenal neuesten Musiktheaters, aber keine Revolution. Nicht geleistet werden konnte eine Präsentation der großen Opern des 20. Jahrhunderts. Kein Wozzeck, keine Lulu, keine Soldaten, doch genügend kleingliedrige in der Opera stabile (Rihms Jakob Lenz, Müller-Wielands Kain). Das war eine aus finanziellen Gründen nachvollziehbare Entscheidung, sind es doch die luxuriösen Reißer wie Wagners Ring der Nibelungen und die Mozart-Opern, die Geld in die Kasse bringen.

So lag denn auch das Schwergewicht auf Neuinszenierungen des großen Opernrepertoires. Regie-Stars wie Harry Kupfer, Ruth Berghaus, Robert Wilson oder John Dew, Nikolaus Lehnhoff, Peter Mussbach und, nicht zu vergessen, Günter Kremer durchpflügten das Terrain der großen Oper und zauberten anregende Re-Visionen auf die Bühne. Günter Kremers Ring allein wird noch einige Zeit der künftigen Intendanz als luxuriöse Visitenkarte dienen können.

Sorgen sind indes geblieben. Der staatliche Zuschuß schrumpft, im Zuge der behördlichen Sparauflagen werden die Fragen nach der Zukunft der Institution Staatsoper radikaler gestellt. Auch die nach einer Diversifikation der Spielorte. Denn: Das Opernhaus an der Dammtorstraße ist wahrlich kein Augenschmaus und auch kein Ort, der einlädt, ambitioniertes Musiktheater zu schreiben. Lachenmanns Schwefelhölzer waren eine opernbetriebliche Nagelprobe, die ermutigen konnte, aber auch deutlich auf die Grenzen eines Betriebes aufmerksam machte, der als schizophrene Institution zwischen dem verschwenderischen Geist des 19. Jahrhunderts und dem Arbeits-recht unserer Tage herumlaboriert.

Die Hinterlassenschaft von Peter Ruzicka, 49 und Gerd Albrecht, 62 ist beachtlich: konsolidierte Finanzen, ein solides, zeitgemäßes, wenn auch nicht visionäres Repertoire und die Erfahrung, daß neugierige Menschen seltener im Abonnentenstamm zu suchen sind und öfter im vielseitigen Netz einer großstädtischen Bilderkultur. „Prima la musica“? Vielleicht ist es ja die zukünftige Aufgabe der Oper, den schönen Schein der bunten Bilder zu bannen und der Tragödie des Hörens mehr Raum zu schenken. Insofern war die Ära Albrecht/Ruzicka eine Achsenzeit, in der alte Werte langsam verblassen, die neuen aber noch nicht scharf genug konturiert sind. Sven Ahnert

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