: Ungewohnt klare Worte
■ Kirchen kritisieren die deutsche Ausländerpolitik
Die Diskussion über Ausländerpolitik hat sich in den letzten Jahren in Deutschland verändert. Früher stand die Kritik der rechtlichen Zweitklassigkeit der Eingewanderten im Mittelpunkt, heute redet man lieber über das problematische Sozialverhalten Eingewanderter, ihre vermeintliche Demokratieunfähigkeit und das Dominanzgebaren mancher Jungtürken in den innerstädtischen Vierteln der Republik.
Auch links der Mitte debattiert man nun leidenschaftlich die Konflikte, die die multikulturelle Gesellschaft mit sich bringt. Diese Probleme hatte man aus Gründen politischer Opportunität und trotz besseren Wissens allzu lange geleugnet. Doch nun ist das Tabu endlich gebrochen und der Weg frei.
Mit geradezu atemberaubendem Tempo haben einstmalige „Ausländerfreunde“ sich ihres alten Ballastes entledigt. Engagement für die rechtliche Gleichstellung der Eingewanderten, die Ausgestaltung der Republik zur Einwanderungsgesellschaft – das ist der uncoole, nicht popfähige Sound von gestern. So verwundert es auch nicht, daß das gestern im Bundesrat gebilligte Gesetz, auch in Deutschland aufgewachsene „Ausländer“ ohne Prozeß abzuschieben, wenn sie sich an verbotenen und gewaltsamen Demonstrationen beteiligt haben, keine größeren Proteste auslöste.
Deutschland hat sich verändert. Mit dem „Asylkompromiß“ vom Dezember 1992 verfielen auch die Linksliberalen in den migrationspolitischen Tiefschlaf. Um so größere Bedeutung kommt deshalb dem Kirchenwort zur Einwanderungs-, Asyl- und Flüchtlingspolitik zu. Unzweideutig haben die beiden großen Kirchen Stellung bezogen. In ungewohnter Klarheit machen sie die „Unfähigkeit der Politik“ für Fremdenangst und gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit verantwortlich. Vieles, was die Kirchen zum Thema zu sagen haben, ist nicht wirklich neu – weder die Forderung nach Bekämpfung der Fluchtursachen noch der Appell, daß Ausländerpolitik nicht vorwiegend als Gefahrenabwehr konzipiert sein darf. Neu und gleichzeitig beunruhigend ist allerdings, daß die Kirchen mit ihren ausländerpolitischen Forderungen nun als die letzte relevante Gruppe von Radikaldemokraten erscheinen. Und dies nur, weil sie unbeirrt am christlichen Menschenbild festhalten. Eberhard Seidel-Pielen
Bericht Seite 5
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