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Der Vater der Info-Box

■ Gesichter der Großstadt: Bekannt wurde Dirk Nishen als Kreuzberger Verleger. Die Info-Box als Sprungbrett: Heute konzipiert er internationale Großausstellungen

Schon mit Fünfzehn war Dirk Nishen klar, daß er Lektor und Architekt werden wollte – obwohl er gar nicht so genau wußte, „was ein Lektor ist“. Heute macht der 44jährige beides: Er verlegt Bücher und hat, wenn er heute Ausstellungen plant, „sehr viel mit Gestaltung von Räumen zu tun“.

Vor 15 Jahren hat er den Nishen Verlag in Kreuzberg gegründet und jährlich rund zwanzig Bücher verlegt – vor allem Photobände zur Berliner Stadtgeschichte. Die Verlagsreihe Photothek hat dann auch schnell Liebhaber gefunden. Die braunen 32seitigen Hefte der Photothek-Reihe wurden so beliebt, daß er heute kleine Nachauflagen druckt.

Mit 24 Jahren, nach dem Germanistik- und Politologie-Studium in Hannover zog Dirk Nishen nach Berlin. „Ich wollte nicht vertheoretisieren.“ Ausgerüstet mit einer langjährigen Kollektiverfahrung prallten hier Welten aufeinander. „Westdeutschland trifft Berlin“ umschreibt er lachend seinen ersten Schock. In Hannover hatte er neben dem Studium drei Tage die Woche in einem Internationalismus-Buchladen gearbeitet, eine KPDML-Gründung. „Wir lebten zusammen, studierten zusammen und hatten das Buchladenkollektiv mit Einheitsgehalt.“

In Berlin fand er über Freunde beim Rotbuch-Verlag einen Job. „Ohne irgendeine Ahnung“ zu haben, war er für Herstellung und Werbung verantwortlich. Nach vier Jahren bei Rotbuch hat er 1982 mit geliehenem Geld seinen Ein-Mann-Verlag gegründet.

Mit dem Geschäftsgebaren aus Kollektivzeiten vertraut, glaubte Dirk Nishen, alles allein und somit besser zu machen. Aber es ging schief. Zuletzt war er mit über einer Million Mark verschuldet: „Schulden tun sehr weh.“ Hinzu kamen private Probleme, die sich beruflich niederschlugen: „Ich habe nur noch die falschen Bücher gemacht.“ Dies hält Nishen heute für zwangsläufig. „Ich konnte nicht anders, ich mußte das durcharbeiten.“

Getreu seinem Motto, alle fünf Jahre etwas Neues zu machen, hat er 1987 zusätzlich die D & D Kommunikation gegründet. Eine Agentur, in der Ausstellungsprojekte entwickelt werden wie die zu Ruhm gekommene Info-Box am Potsdamer Platz. Mit finanzieller Hilfe von Daimler-Benz hat er die Idee der Info-Box umgesetzt und letztes Jahr den Katalog dazu vorgelegt. Der Band, in dem das Berlin der Zukunft abgebildet ist, hat im Verkauf alle Rekorde gebrochen.

Diesem Erfolg schenkt Dirk Nishen nicht die Bedeutung, die ihm von anderen zugemessen wird. „Ohne weiteres“ hätte er jetzt ein „Ausstellungskatalogdrucker“ werden können. Ihm schweben ganz andere Projekte vor. Da ist das Herzog-Projekt: Die kürzlich von Bundespräsident Roman Herzog gehaltene Rede als Ausgangspunkt für ein neues Buch. „Ich will gucken, ob sich das System noch irgendwie mit dem Volk berührt. Kann die Jugend etwas damit anfangen? Was ist eine Gesellschaft?“ Weitere Ideen für Bücher: Architektur im Krimi, oder wie stellen sich Science-fiction-Autoren die „Architektur im nächsten Jahrtausend“ vor. Und es laufen bereits die Vorbereitungen für die „Expo am Meer“ in Wilhelmshaven im Jahre 2000.

Mit der Info-Box kamen auch Angebote aus aller Welt, Beirut und Bangkok würden gerne ein ähnliches Informationszentrum konzipieren. Nishen hat heute, wie er selbst sagt, das „unheimliche Privileg“, aussuchen zu können. Denn als Verleger mußte er stets darauf achten, daß die Bücher sich auch verkauften. Heute bringt das Nishen-Unternehmen über zwei Millionen Mark Umsatz, die Schulden sind längst abgezahlt. Der Verlag lebt von seinen Ausstellungskonzepten, und er denkt darüber nach, seine zwölf Mitarbeiter am Gewinn zu beteiligen. „Was soll ich mit dem ganzen Geld.“

Als was er sich heute bezeichnen würde? Das wüßte er auch nicht, kommt die schnelle Antwort. „Aus Verzweiflung“ würde er manchmal Verleger antworten. Aber ein Verleger sei er „schon lange nicht mehr“. „Ich suche.“ Und die Bezeichnung Verleger sei für ihn, wenn sie sich nur auf Bücher bezöge, eine Festlegung. Aber wenn es sich um das „Verlegen von Informationen von einem Ort auf andere Orte“ handele, hätte er nichts dagegen.

Seit nunmehr vier Jahren ist die Nishen GmbH, Verlag und Agentur, in Schöneberg zu Hause. Daß Berlin seine Heimat sei, daran läßt der gebürtige Hannoveraner keinen Zweifel. Berlin sei die einzige Stadt in Deutschland, wo er leben will. Berlin als „Lebenschance“, wo man noch mit Realitäten konfrontiert sei.

Von Glück habe er früher nicht reden können, aber heute genieße er das Leben mit Frau und seinen vier kleinen Kindern. Nachdenklich sagt er, „es geht mir gut heute, aber in zwei Jahren...“ Es gebe heute keine Sicherheiten mehr, man müsse eben „unheimlich dranbleiben“. Karen König

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