: Mit Talmud und Tora
Erstmals seit 1940 machen drei Hamburger SchülerInnen Abitur in „Jüdischer Religionslehre“ ■ Von Volker Stahl
„Ich stamme aus einem traditionellen Haus“, sagt Ilona Aziz, und mit traditionell meint die 18jährige Hamburgerin, daß in ihrer Familie viel Wert auf die Einhaltung religiöser Gebote gelegt wird. So werden bei den Aziz' etwa die jüdischen Speisegesetze eingehalten. Aber bis vor zwei, drei Jahren war auch Ilona Aziz die Bedeutung vieler Handlungen und Rituale des Judentums nicht bekannt. „Einige meiner Mitschüler hatten sogar überhaupt keine Ahnung.“Dann belegte sie an der Schule „Jüdische Religionslehre“. Seit diesem Sommer ist Ilona Aziz eine von drei Hamburger AbiturientInnen, die in diesem Fach ihre mündliche Abiturprüfung abgelegt haben.
Damit ließen Ilona Aziz und ihre MitabiturientInnen Vivienne Barrel und Amos Landshut (beide 19) nach 57 Jahren eine in der Hansestadt verschüttete Tradition wieder aufleben: Die letzten beiden Abiturienten, die in der im Grindelviertel gelegenen Talmud-Tora-Schule „Jüdische Religionslehre“zum Prüfungsfach erkoren hatten, waren 1940 Oskar Judelowitz und Rolf Levisohn. Judelowitz' Schicksal ist unbekannt. Levisohn wurde von der Gestapo nach Litzmannstadt in den Tod geschickt.
„Als ich in die Oberstufe kam, erfuhr ich, daß dort jüdischer Religionsunterricht angeboten wird“, erzählt Ilona Aziz. „Ich habe einfach einen Kurs belegt und später beschlossen, mich in dem Fach zum Abitur zu melden.“Die Prüfung bestand sie mit der Note „sehr gut“. Unterrichtet wurde sie drei Jahre lang von dem Rabbiner Dov-Levy Barsilay. „Das Ansammeln von Wissen stand dabei im Vordergrund. Wir haben aber auch über ethische Probleme diskutiert“, resümiert Ilona Aziz. Seit dem 11. Schuljahr beschäftigt sich die frisch gebackene Abiturientin nun mit dem Chassidismus, der Rolle der Propheten, dem jüdischen Ehe- und Familienleben, der Bedeutung der religiösen Feiertage, dem Wesen und Inhalt des Talmuds und anderen Aspekten ihrer Religion.
Jüdische Religionslehre steht in Hamburger Schulen auf Antrag der Jüdischen Gemeinde seit August 1993 auf dem Lehrplan. Das Fach, an dem auch nichtjüdische Schüler teilnehmen können, wird in den Klassenstufen 11 bis 13 der Gymnasien angeboten. Vor einem Jahr erteilte die Schulbehörde die Genehmigung, die jüdische Religionslehre als Prüfungsfach wählen zu dürfen. „Dieser Unterricht ist eine Ausnahme vom System, weil er als Alternative zum üblichen Philosophie- und Religionsunterricht angeboten wird“, erklärt Marianne Zyzik von der Schulaufsichtsbehörde. Eine entsprechende Wahlmöglichkeit gibt es beispielsweise für moslemische Oberstufenschüler nicht. So wird islamischer Religionsunterricht nur an Hamburger Grundschulen im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts erteilt.
Im Religionsunterricht sitzen in Hamburg in der Regel Schüler mit verschiedenen Religionszugehörigkeiten zusammen, um gemeinsam zu lernen. In anderen Bundesländern wird Religion oft strikt nach Konfessionen getrennt gelehrt. Über die konkrete Ausgestaltung eines „interreligiösen Unterrichts“beratschlagt in der Hansestadt zur Zeit ein multikonfessioneller Gesprächskreis, dem Mitglieder aus christlichen, moslemischen und buddhistischen Gemeinden angehören. Die jüdische Gemeinde in Hamburg ist dort ebenfalls vertreten.
Ilona Aziz hat der spezielle Unterricht in „Jüdischer Religionslehre“stark geprägt. Anfang August will die junge Frau, deren Eltern aus dem Iran stammen und sich vor dreißig Jahren in Israel kennenlernten, nach Tel Aviv auswandern. „Mein 28jähriger Bruder hat diesen Schritt bereits vor einigen Monaten unternommen. Obwohl ich in Hamburg geboren bin, war meine Beziehung zu Israel schon immer intensiver.“Ein großer Teil ihrer Familie lebt dort, und auch der Dienst in der Armee schreckt die 18jährige nicht ab. „Die Wehrpflicht läßt mir keine Wahl. Aber ich habe auch nichts gegen den Dienst, denn ohne die Armee würde es kein Israel mehr geben.“
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