: Tief im Wald, die letzten der Flüchtlinge
■ Schnelle Hilfe ist nötig, damit die noch im Kongo verbliebenen Ruander nicht im andauernden Krieg zwischen Hutu-Milizen und AFDL-Soldaten zerrieben werden
Von der Diplomaten und Journalisten Haß und Gunst verwirrt, schwankt das Charakterbild des neuen Kongo. Da mag ein Journalist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über Krokodile schreiben, die im Kongo-Fluß knochenkrachend Menschen verspeisen oder, noch sensationeller, die Knochen von Leichnamen verschmähen – er kann dennoch nicht behaupten, daß er sie gesehen hat. Die Schwierigkeiten, über ein Land zu berichten, an dem Berichterstatter aufgrund seiner Größe und Undurchdringlichkeit immer nur nippen können – diese Schwierigkeiten dürfen dem Publikum aber auf Dauer nicht verborgen bleiben. Was bekommt man im Kongo überhaupt zu sehen? Und was darf man aus dem Gesehenen und Nichtgesehenen extrapolieren?
Die Flucht der ursprünglich 1,2 Millionen Hutu-Flüchtlinge aus Ruanda nach Zaire 1994 war keine Flucht im originären Sinne. Eher nahm die gestürzte Hutu-Regierung zusammen mit ihrer Armee und der Völkermordmiliz Interahamwe die 1,2 Millionen Menschen mit. Das Verhältnis in den großen zairischen Flüchtlingslagern war etwa eins zu zwölf: Auf zwölf Flüchtlinge kam ein Milizionär oder Soldat.
Von den 1,2 Millionen gingen einige schon in den letzten Jahren nach Ruanda zurück. Es blieben im Herbst 1996 1,1 Millionen, davon kehrten bis Frühjahr 1997 800.000 nach Ruanda zurück. Ein großer Teil der 300.000 restlichen sammelte sich in den Lagern Tingi- Tingi und Ubundu nahe Kisangani im Osten Zaires. Auch diese letzten Flüchtlinge wanderten und überlebten zusammen mit bewaffneten Völkermordmilizionären. Aber mittlerweile lag das Verhältnis eher bei eins zu drei – auf drei „Normale“ kam ein Interahamwe.
Als dann Kisangani am 15. März 1997 fiel, flohen diese Flüchtlinge auf das andere Ufer des Kongo- Flusses und versackten im unendlich dichten Regenwald. Sie bauten auf der Straße nach Ubundu ein wildes Lager am Kilometerstein 26 auf. Dann begann, was Beobachter vorausgesehen hatten: Die Tutsi- Teile der AFDL-Armee hatten freie Hand, auf diesem Ufer des Kongo „aufzuräumen“. Später entdeckten wir beim Durchfahren des verlassenen Camps ein Massengrab, das als einziger Platz an der Strecke bis zum neuen wilden Lager Biaro bewacht wurde.
Immer wieder finden Helfer neue Flüchtlinge
Mittlerweile sind die letzten Aufgebote der Flüchtlinge in verschiedene Richtungen weitergezogen: südwestlich an die Grenze zu Angola, nordwestlich an die Grenze der Republik Kongo, südöstlich in die Wälder der Shabunda-Region. Dort, in der Umgebung von Lilungu, finden humanitäre Helfer immer wieder versprengte und völlig verängstigte Gruppen von Flüchtlingen – jeweils 50 bis 500, oft in jämmerlichem Zustand, die sich aus Angst vor Angriffen der Tutsi-Soldaten im Urwald versteckten. Es können einheimische zairische Tutsi sein, also Banyamulenge, oder Soldaten aus Ruanda.
Der Versuch, per Lastwagen von Lilungu nach Nyambembe zu kommen, scheitert im Schlamm. Achtzehn Kilometer müssen zu Fuß zurückgelegt werden. Hinter Nyambembe und Ndumu hausen immer neue Ansammlungen völlig verstörter Flüchtlinge unter alten blauen Plastikplanen des UNHCR, die sie einst aus den großen Lagern mitnahmen.
Die Flüchtlinge, die den Helfern jetzt noch begegnen, leiden an extremer Unterernährung. Am schlimmsten sind die kleinen Kinder betroffen. Eltern berichten, daß sie über die Hälfte ihrer Kinder schon verscharrt haben. Haupttodesursachen sind Hunger, Malaria und andere Infektionskrankheiten.
Aber immer wieder gibt es unter den Flüchtlingen auch kräftige junge Männer, unbeeindruckt vom Elend um sie herum. Das sind die Ex-Soldaten und Milizionäre. Gut gekleidet, wohlgenährt bis fett, strotzen sie vor Kraft und spielen sich immer noch als Führer auf.
Es ist ein Teufelskreis. Weil die Tutsi der AFDL weiter hinter diesen Milizionären her sind, sind die Flüchtlinge weiter von Krankheit, Hunger und „Vergeltungsaktionen“ bedroht. Schnelle Hilfe ist notwendig, aber hier erfindet die AFDL immer neue bürokratische Schikanen. Zum Beispiel bekommt man die Genehmigung zur Arbeit meist nur, wenn man belegen kann, daß man nicht an der Versorgung der Camps mit den Bewaffneten zwischen 1994 und 1996 beteiligt war.
Und immer wieder sind darunter kräftige Männer
Der Grund ist klar: Kabila muß den Tutsi-Soldaten etwas bieten. Um Mobutu zu stürzen, blieb ihm keine Wahl, als mit der Regierung Ruandas gemeinsame Sache zu machen, die von den Hutu-Flüchtlingen nichts wissen will. Der zairische Teil der AFDL schuldete Ruanda Gehorsam, Loyalität und Unterstützung bei der Kampagne gegen die Hutu-Flüchtlinge.
Daß es an mehreren Orten zu einer Vernichtungskampagne gekommen ist, läßt sich nicht bezweifeln. Bezweifelt werden kann, daß dies systematisch und mit bester Waffentechnologie durchgeführt worden ist, wie dies zum Beispiel „Ärzte ohne Grenzen“ ohne zureichende Belege behauptet. Nicht ganz sicher ist auch, ob Ruandas starker Mann und Vizepräsident Paul Kagame das selbst angeordnet hat oder ob es der Teil seiner Armee ist, der zu Kagame in Opposition steht und mit den Hutu einfach aufräumen möchte.
Auch in der AFDL haben die Zivilen keine Macht. In Kisangani gibt es den allerbesten Provinzgouverneur im Kongo, Dr. Yagi, einer der wenigen wirklichen langjährigen Oppositionellen des Landes. Er hat sich nie mit Mobutu arrangiert, er leitete als Arzt seine Praxis und kleine Ambulanzen außerhalb der Stadt. Nun wirkt er in seinem kleinen Gouverneurspalast wie eingeschlossen. Die Mächtigen sind die Militärs, zumeist Tutsi, die an keiner Sitzung teilnehmen, die den Gouverneur immer nur herausbitten aus einer Runde und immer flüstern. Die Spaltung auch innerhalb der Armee ist offenkundig: In Kalemie am Tanganyika- See herrschte solche Spannung zwischen Tutsi-Soldaten und den aus Angola über Ruanda eingeflogenen Exilsoldaten aus Katanga, daß eine Explosion jederzeit zu befürchten war. Und vielleicht nicht nur dort. Rupert Neudeck
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