: Kommissar Zufall war Pate
■ Die Kripo-Sonderkommission "Vietnam" wird aufgelöst, weil sie die Schutzgelderpresser-Banden zerschlagen hat. Der Zigarettenhandel floriert weiter
Die Erfolgsmeldung will der Polizeipräsident nach den Ferien selbst verkünden: Die Sonderkommission „Vietnam“ hat sich im Kampf gegen vietnamesische Schutzgelderpresser Lorbeeren verdient und wird aufgelöst. 15 von ingesamt 19 Morden, die im vergangenen Jahr auf das Konto der Banden gingen, gelten als aufgeklärt. 16 mutmaßliche Mitglieder der Ngoc-Tien-Bande und ihr Boß stehen im August wegen neunfachen Mordes vor Gericht. In dem bislang größten Verfahren gegen die sogenannte Zigarettenmafia wird es auch um die Hinrichtung von sechs Vietnamesen in Marzahn gehen.
Das Mordsgeschäft mit den unverzollten Glimmstengeln hatte am 12. Mai 1996 seinen Höhepunkt erreicht: An diesem Tag wurden in einem Marzahner Hochhaus die Leichen von sechs Vietnamesen gefunden. Die gefesselten Männer waren mit jeweils zwei Kopfschüssen regelrecht exekutiert worden. Die Rache der Quang-Bien-Bande folgte auf dem Fuß. Drei Tage später mußten Angehörige der Ngoc-Tien-Bande an einem Bahndamm in Lichtenberg sterben. Bis dahin war „nur“ alle paar Wochen ein Mord passiert.
Daß es bei dem Blutbad im Mai blieb, ist Kommissar Zufall zu verdanken, der der Sonderkommssion „Vietnam“ zu Hilfe eilte: Bei einem Gerichtsverfahren offenbarte eine wegen Ladendiebstahls angeklagte Vietnamesin dem Richter, daß sie von einer Bande aus der Zigarettenmafia gekidnappt worden sei. Die Kripo konnte daraufhin mit der Festnahme mehrerer mutmaßlicher Bandenmitglieder einen entscheidenden Schlag landen. Danach geschah nur noch ein Mord, seither herrscht Ruhe. Zahlreiche Bandenmitglieder sind inzwischen verurteilt worden. Manche bekamen – so wie der mutmaßliche Anführer der Quang-Bien-Bande – die volle Härte des Gesetzes zu spüren: Der Mann wurde für ein Telefonat, bei dem er einen Mord in Auftrag gab, zu fünf Jahren Haft verknackt.
Die Kripo ist davon überzeugt, daß die Strukturen der vietmanesischen Schutzgelderpresser in Berlin zerschlagen sind. Deshalb soll jetzt auch die Sonderkommission „Vietnam“ aufgelöst werden. Nur noch eine kleine Koordinationsstelle soll bestehen bleiben, damit das Wissen nicht verlorengeht und anderen Bundesländern Amtshilfe geleistet werden kann. Es gibt bereits Erkenntnisse, daß die Banden in Sachsen und Thüringen Fuß zu fassen suchen: „Da braut sich was zusammen“, berichtet ein Fahnder.
Der Handel mit unverzollten Zigaretten floriert unterdessen weiter. Die kleinen vietnamesischen Händler sind in der Regel keine Bandenmitglieder, sondern im Kampf um die Stellplätze nur die Opfer. Aufgrund des erhöhten Fahnungsdrucks hat sich der Handel weg von der Straße verlagert. Jetzt wird frei Haus und ins Büro geliefert. „Früher standen sie wie die Asphaltschwalben“, sagt ein Kripomann. Seit sich die Händler zurückgezogen haben, könne auch weniger beschlagnahmt werden. „Vor zwei Jahren brauchten wir nur abzupflücken und einzusammeln“, bestätigt der Leiter des Zollfahndungsamtes, Wilfried Wieloch. Ins Land geschmuggelt würden die Zigaretten von Deutschen, Russen, Polen und Tschechen „im gleichen großen Stil wie früher“. Plutonia Plarre
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