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Fährt das Auto noch?

■ Erstaunlich frische Erinnerungen des Erinnerungskritikers. Das Museum Wiesbaden zeigt Arbeiten des Konzeptualisten Jochen Gerz aus den 70er Jahren

Nun lächelt sie wieder, die Mona L., fast 20 Jahre nachdem Jochen Gerz sie zum erstenmal in Münster installiert hat. Und ihr Lächeln wird auch heute nicht erwidert. Wie sollte es auch. Handelt es sich bei der Installation „Das Lächeln der Mona L.'s bleibt unerwidert“ doch um einen schlichten Monitor, der – von einer Kamera aufgenommen – nur sich selber zeigt. Dabei dreht er sich unaufhörlich im Kreis, montiert auf eine große Holzscheibe, die über ein dickes Nylonband mit einem massiven Holzpfahl verbunden ist, an dem eine Mauserflinte aus dem Ersten Weltkrieg nebst einem Manifest des Bildhauers Henri Gaudier- Brzeska befestigt ist, das dieser in den Schützengräben des Zweiten Weltkriegs verfaßt hat. Und während der „Mona L.“-Bildschirm als Symbol für die Selbstreferentialität der Kunst unaufhörlich kreist, flüstert eine weibliche Stimme aus dem Lautsprecher am Fuß des Pfahls ohne Pause: „Die ungezählten Schüsse, die ungezählten Küsse, die ungezählten Schüsse...“

Ein verstörendes Werk, das auch nach 20 Jahren nichts von seiner konzeptuellen Kraft eingebüßt hat. Gemeinsam mit weiteren 17 Installationen wird es derzeit im gerade wiedereröffneten Hessischen Landesmuseum Wiesbaden gezeigt. Die Installationen stammen allesamt von Jochen Gerz, und zwar ausschließlich aus den siebziger Jahren. „Eine derartige Retrospektive von Installationen eines Künstlers aus der Frühzeit dieser Kunstgattung hat es bisher zumindest in Deutschland nicht gegeben“, betont Museumsdirektor Volker Rattemeyer. Und dann ausgerechnet Jochen Gerz, den man doch eher mit der Ästhetik des Temporären verbindet. Der sich mit dem Verschwinden und Unsichtbarmachen befaßt, wie in seinem – längst im Boden versunkenen – Harburger Mahnmal gegen Faschismus, in der „Bremer Befragung“ oder im Saarbrücker Mahnmal gegen Rassismus, wo er 2.146 Pflastersteine mit den Namen ehemaliger jüdischer Friedhöfe in Deutschland beschriftet hat – auf der Unterseite, versteht sich.

Und jetzt eine solch zeigefreudige, dem Objektcharakter verhaftete Schau? Gefragt nach der paradoxen Reinszenierung dessen, was einst hauptsächlich als vergängliche Performance gedacht war, antwortet Gerz: „Die Installationen jetzt wieder zu zeigen ist einerseits ethnologisches Interesse, andererseits will man wissen: Fährt das Auto noch?“ Was letzteres betrifft: Es fährt tatsächlich noch, wenn auch nur zum Teil. Genauer gesagt: Zwei Drittel der Installationen haben unter den vergangenen 20, 25 Jahren kaum etwas an Überzeugungskraft eingebüßt.

Neben so selbstreflexiven Arbeiten wie „Das Lächeln der Mona L.'s...“ funktionieren heute noch vor allem jene Werke, in denen Gerz' frühe Auseinandersetzung mit der Thematik kollektiver Erinnerung, mit der Denk- und Mahnmal-Problematik erkennbar wird. Etwa der beklemmende Raum „Exit/Materialien zum Dachau- Projekt“ von 1972/74. Hier liegen auf 18 Holztischen Dossiers mit Fotos banaler Hinweisschilder aus der KZ-Gedenkstätte Dachau. Unter der kargen Beleuchtung nackter Glühbirnen, begleitet von Atem- und Laufgeräuschen und vom Ton ratternder Schreibmaschinen, warten sie darauf, von den BesucherInnen durchgeblättert zu werden. Auf daß man hinter der Sprache des Alltags die Sprache der Grausamkeit erkenne. Noch tiefgründiger – wenn auch scheinbar spielerischer – wird's bei der Installation „Der Gedenktag des 16. Juni 1974 findet heute statt“. Eine Arbeit mit täglich aktualisiertem Datum, bei der man als BesucherIn die eigenen Schritte, das Atmen und Räuspern als Bewußtmachung der Gegenwart vernimmt – und damit gleichzeitig als Kritik der Erinnerungs- und Gedenkkultur. Denn, so Gerz: „Der Gedenktag ist heute. Wäre er notwendig, wenn wir das eine leben würden, wie wir des anderen gedenken?“

In solchen Arbeiten sind die Grundlagen der heutigen „Nicht- Mahnmale“ des Künstlers deutlich zu erkennen. Aber auch dort, wo Gerz sich mit den Mythen unserer Kultur und deren Banalisierung auseinandersetzt, bleiben seine Ansätze spannend. So etwa in jenem fast originalgetreu nachgebauten Raum, in den Gerz bei der Biennale von Venedig 1976 einen riesigen, durch die Wand ragenden Zentauren baute, in dem er damals für mehrere Tage wohnte, um die Kommentare der BesucherInnen zu studieren, die er mit einem fünfzigseitigen, in Spiegelschrift verfaßten Manuskript zum Zentaurenmythos konfrontierte.

So überzeugend und provozierend der Konzeptualist Gerz sich hier aber zeigt, so antiquiert und geradezu brav wirkt er da, wo er als reiner Videokünstler auftritt. „Diese Worte sind mein Fleisch & mein Blut“ auf einem Monitor zu zeigen lockt heute niemanden mehr in eine Ausstellung. Gar zu museal wird es auch dort, wo die einstigen Performances bloß noch als Dokumentation ohne Präsenz des Künstlers gezeigt werden. Denn Jochen Gerz live mit einer Schlinge um den Hals, an der das Publikum zerren kann, ist etwas ganz anderes als die bloße Dokumentation der Aktion auf dem Bildschirm. Hier läuft das Auto eben wirklich nicht mehr.

Zu den besonderen Stärken der Ausstellung gehört freilich ihre räumliche Präsentation. Denn in Wiesbaden hat fast jede Installation ihren eigenen, brillant auf sie abgestimmten Raum. Was ganz besonders für die beiden im Besitz des Museums verbleibenden Werke „Die Schwierigkeiten des Zentaurs beim vom Pferd steigen“ und „Der Transsib.-Prospekt“ (von der dokumenta 6) gilt. Bei ersterem wurde im Zuge der Museumssanierung der Raum sogar direkt auf die Skulptur hin konzipiert.

Ein lobenswerter Dienst der Architektur an der Kunst, dem sich das Wiesbadener Museum hier verpflichtet zeigt. Friedwart Maria Rudel

Jochen Gerz, „Get out of my lies“, bis 28.9. im Museum Wiesbaden, Friedrich-Ebert-Allee 2.

Katalog 48 DM

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