: Sau im Kopf – Wenn die Bundeswehr Videos dreht Von Klaus Kreimeier
„Wenn man den Leuten sagt, nun laßt mal die Sau raus, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Sau im Kopf weiterläuft.“ Oberstleutnant a.D. Hel-
muth Prieß über Führungs-
und Ausbildungsmängel in
der Bundeswehr
Sau im Kopf – das muß ein unangenehmes Gefühl sein. Aber Helmuth Prieß, Sprecher des bundeswehrkritischen Soldatenverbandes „Darmstädter Signal“, lokalisiert das Problem schon richtig. Wenn deutsche Infanteristen sich als Darsteller selbstgedrehter Gewalt- und Pornovideos jene Fitneß antrainieren, die sie, zum Beispiel, für den Umgang mit renitenten Zivilisten in Out-of-area-Einsätzen zu benötigen glauben, kommt etwas aus ihren Köpfen heraus, was irgendwie hineingekommen sein muß. Der Fall, der vor kurzem als „Videoskandal“ das Land erschütterte, hat eine längere Vorgeschichte. Prieß deutet an, daß nicht nur in Rekrutenköpfen, sondern auch in manchen Hirnen des militärischen Managements einige Sicherungen durchgebrannt sein müssen, bevor das Geschehen im Ausbildungszentrum Hammelburg möglich wurde. Auch der Fisch, um bei der Zoologie zu bleiben, stinkt bekanntlich vom Kopf, in diesem Fall von den Headquarters, wo schließlich die Sau erst losgelassen werden muß, damit sie in den Schädeln der unteren Dienstgrade weiterrennen und sich als das erweisen kann, was sie immer war: als Haustier der Soldateska. Dieses wird in allen Armeen dieser Welt gemästet, und gut ausgedachte, manchmal sogar funktionierende Konstruktionen wie das Prinzip der inneren Führung werden dabei im ungünstigen Fall glatt über den Haufen gerannt. Soviel zur militärischen und militärpolitischen Seite des Problems.
Doch offenbar kommen manche Köpfe in der Bundeswehr mit einem Dilemma der Zivilgesellschaft, mit dem Problem von Schein und Sein, Simulation und Wirklichkeit, nicht klar – erst recht, wenn neben dem Bajonett eine Videokamera baumelt, ein Gerät, das zu kritischer Selbstbeobachtung wie ungehemmter Selbstbefriedigung gleichermaßen taugt. Der inkriminierten Videoproduktion war, laut Ausbildungsplan, ein Rollenspiel vorausgegangen, das die Soldaten für Konflikte mit einem unberechenbaren Gegner auf bosnischem Terrain ertüchtigen sollte. Die uniformierten Videofreaks hätten das Rollenspiel „pervertiert“, behaupten die erschrockenen Oberfilmproduzenten im Verteidigungsministerium. Rollenspiele aber laborieren per se am Virus ihrer eigenen Perversion: Sie können jäh in die Realität oder in den Exzeß umkippen. Die Videokamera steigert den einen wie den anderen Effekt. Jeder Amateur kennt die Versuchung, als Spielfilmregisseur herumzufummeln, die Wirklichkeit möglichst zu übertrumpfen und plötzlich die Wahrheit, sprich: die Sau rauszulassen.
Mit der Nachricht über die Verbrechen der deutschen Bundeswehr (der Genitiv wäre in diesem Falle noch nicht angebracht) überkreuzte sich eine andere, die gleichfalls von strapazierten Köpfen handelte – genauer: von den Strapazen, die den Köpfen der Fernsehzuschauer angesichts von Gewaltbildern zugemutet werden. Zwei Freiburger Wissenschaftler hatten herausgefunden, daß es vollkommen egal sei, ob die Bilder physische Gewalt zeigen oder nicht – die „indirekte Darstellung von Gewalt“ sei sowieso effektvoller als die direkte. Es gebe „Techniken der Vorausweisung und Spannungserzeugung“, mit denen sich die rohe Gewaltexplosion vermeiden lasse. Das brutale Geschehen sei in solchen Bildern nicht sichtbar, sondern werde „indirekt an den Reaktionen der beteiligten Personen gespiegelt“. Ein Beispiel, das mir gerade einfällt: Im Spielfilm müßte man nicht unbedingt vorführen, wie Mike Tyson seinem Gegner Evander Holyfield ein Stück Ohr abbeißt; es würde genügen, zu zeigen, wie sich Tyson (Großaufnahme) zähnefletschend dem feindlichen Gehörgang nähert; Schnitt: Holyfield schreit auf, Schnitt: Tyson kaut ein bißchen auf dem Ohr herum – fertig. (Es gibt natürlich noch viel elegantere Szenen indirekter Gewalt, die man zum Beispiel bei Hitchcock studieren kann.)
Das Fazit der Freiburger Forscher lautet jedenfalls: „Der wirkungsvollste Gewaltakt spielt sich im Kopf des Zuschauers und nicht auf dem Bildschirm ab.“ Wir ahnten es schon lange, jetzt haben wir es wissenschaftlich. Die Erkenntnis ist von nachgerade erdrückender Plausibilität. Gleichzeitig fügt sie der anhaltenden Fernsehgewaltdebatte einen neuen, durchaus alarmierenden Aspekt hinzu, und auch die Sau-im-Kopf-Spekulationen lassen sich nunmehr präzisieren. Wenn uns nicht die gezeigten Grausamkeiten erregen, sondern jene, die sich „zwischen den Bildern“ ereignen und von unseren inneren Gewaltbildern erst vervollständigt werden: dann sind nicht die Mordbuben auf dem Bildschirm und auch nicht die Programmchefs von RTL und Pro7, sondern die Zuschauer, also wir selbst, die wirklichen Gewalttäter – die beamteten Sittenwächter, die für den sauberen Bildschirm fechten, eingeschlossen.
Die Input/Output-Theoretiker – „die Bilder, die wir in die Köpfe unserer Kinder hineinstopfen, kommen als Gewalttaten wieder heraus“ – können ebenso einpacken wie jene amerikanischen Praktiker, die vor jeder Fernsehbluttat Warnsignale einblenden. Man macht erschrocken die Augen zu und mischt sich munter seinen eigenen Cocktail aus Sex & Crime zurecht. Jeder läßt die Sau raus, die ihm gerade durch den Kopf saust.
Die Schlußfolgerungen für die Ereignisse in Hammelburg sind evident. Die „tatverdächtigen“ Militär-Porno-Rekruten haben sich, vom Scheitel bis zur Sohle, als rechte (und mutmaßlich rechtslastige) Staatsbürger in Uniform decouvriert. Täter sind sie als Teilnehmer eines Rollenspiels, das Krieg heißt und das sie mit ihrem elektronischen Spielzeug durchaus konsequent in Bilder umgesetzt haben. Mit einer Videokamera bewaffnet haben sie, ihre inneren Gewaltbilder nach außen stülpend, für Sat.1 einen Kriegsfilm gedreht, den sie (möglicherweise) realiter nachspielen würden, wenn sie im realen Rollenspiel auf einem realen Kriegsschauplatz eine maßgerecht passende Gelegenheit dazu bekämen.
Der „Videoskandal“, wie er genannt wurde, ist freilich nicht dem Medium anzulasten, auch nicht den direkten oder indirekten Gewaltbildern, die ihm entfließen. Im Gegenteil: Das Video hat erst mit wünschenswerter Anschaulichkeit an den Tag gebracht, womit die Architekten der inneren Führung zu rechnen haben, wenn im sogenannten Ernstfall ihr schöner Bau zusammenbrechen und das Gesicht unserer schimmernden Wehr – out of area, in Bosnien, Somalia oder sonstwo auf der Welt – sich bis zur Kenntlichkeit verzerren sollte. Aber der Ernstfall ist schon immer da, im zivilen Alltag, in der angewandten Schizophrenie unserer gesellschaftlichen Rollenspiele, im täglichen Eiertanz zwischen latenter und manifester Gewalt, zwischen Realität und Simulation, zwischen den Bildern, die uns eingetrichtert werden, und denen, die wir selbst produzieren. Die Sau läuft durch den Kopf. Wenn sie rausgelassen wird, wissen wir zumindest Bescheid.
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