piwik no script img

Die Front National im Kulturkampf

■ Das rechtsradikal regierte Vitrolles in Südfrankreich hat 140 politisch mißliebige Kommunalbedienstete unter verschiedenen Vorwänden entlassen: von Kellnerinnen über Streetworker bis zur Direktorin des kommunalen Kinos

Paris (taz) – Zuerst waren es Streetworker, Leiter von Stadtteilzentren und Kindergärtnerinnen, die dem Kulturkampf in der südfranzösischen Stadt Vitrolles zum Opfer fielen – seit dieser Woche sind es auch Kellnerinnen. Zwei junge Frauen, die keine Politiker der rechtsextremen Front National (FN) bedienen wollten, wurden fristlos entlassen. Mit ihrer Kündigung stieg die Zahl der Entlassungsopfer in der seit Februar rechtsextrem regierten Kleinstadt auf über 140.

Der von entlassenen kommunalen Bediensteten gegründete Verein „La Charrette“ (der Karren) und Gewerkschaften haben gegen sämtliche Entlassungen Klage erhoben. „Vor Gericht wird die Front National verlieren“, lautet die Einschätzung Jean-Pierre Braccinis von der Gewerkschaft CGT, die gegenwärtig Verfahren wegen zehn „mißbräuchlichen Kündigungen“ betreut.

Bereits zwei Monate nach ihrem Amtsantritt als Bürgermeisterin von Vitrolles hat Catherine Mégret mit dem Großreinemachen begonnen. Die Kündigungen des kompletten Streetworker-Teams der Arbeiterstadt im Norden von Marseille begründete sie mit dem Parteiprogramm, wonach Vitrolles nun keine Streetworker mehr brauche. Die Präsidentin von „La Charrette“, Pascale Morbelli, erklärt das mit dem Hinweis: „Die wollen Polizisten statt Sozialarbeiter.“ Tatsächlich hat der Gemeinderat die Neueinstellung von 40 Polizisten beschlossen.

Auch die Präfektur, die im Auftrag von Paris für die Einhaltung der Gesetze sorgen muß, hat sich eingeschaltet. In einem Brief an das Rathaus der 31.000-Einwohner-Gemeinde kritisiert sie „Formfehler“ bei 31 Entlassungen: Das Personalkomitee sei nicht berücksichtigt worden.

Offiziell begründet die FN die meisten Entlassungen mit „wirtschaftlichen Zwängen“. Tatsächlich besetzte sie einzelne Posten umgehend neu – mit Leuten aus ihrem eigenen Dunstkreis. Die entlassene Direktorin des kommunalen Kinos, Régine Juin, die sich geweigert hatte, einen Schwulenfilm aus dem Programm zu nehmen, wurde durch den früheren Angestellten eines Pornokinos ersetzt.

Entlassene und Gewerkschafter sprechen auch von „rassistischen Entlassungen“, weil viele Immigranten aus Nordafrika betroffen sind. Aus algerischen Immigrantenfamilien stammen die beiden Kellnerinnen, die ihre Entlassung wegen „Dienstverweigerung“ bekommen haben. Die Mitarbeiterinnen eines Ferienzentrums ließen sich vom Restaurant in eine andere Abteilung versetzen, als sie von der Ankunft einer FN-Delegation erfuhren.

Mégret macht die „katastrophale Finanzlage“ für die Entlassungen verantwortlich und verzieht sich in die bewährte FN-Opferrolle: „Die legale und administrative Belästigung der Gemeinde wird unsere Entscheidung nicht beeinflussen.“ Dorothea Hahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen