: Punks für die Mutti
■ Bis und Kenickie sind die ersten Teenpop-Revoluzzer, die du mit nach Hause nehmen und den Eltern vorstellen kannst
Darin sind sie Meister, die Engländer. Mitten in der allerheiligsten „Top of the Pops“-Sendung, die so etwas wie das Fernseh-Börsenblatt des britischen Musikhandels ist, trat erstmals eine Band ins Licht, die bis dato keine einzige Single veröffentlicht hatte. Tags darauf setzte es Schlagzeilen von The Sun bis zum Guardian. Die Musikpresse warf ihre Vertreterrhetorik an: Los, kaufen, sofort! Aber was, bitte schön, sollte man denn kaufen?
Viel sensationeller als der genialisch floppende Hype war das Gebaren der Band, das zwischen Medienabwehr und gut inszenierter Großmäuligkeit schwankte. „Wir sind die ersten Bis, die nächsten Bis und die letzten Bis“, stellte das Trio aus Glasgow unmißverständlich klar. Von sämtlichen Schreibern fühlten sie sich kraß mißverstanden, ja geärgert. Manche von ihnen fanden es eine Erwähnung wert, daß Bis so jung aussehen, als müßten sie zur „Top of the Pops“- Zeit längst im Bett liegen. Andere warfen das Wort von der „College- Band“ in die Runde. Das war Unfug, denn „wir haben ja noch nicht mal Abitur“.
Wenn man sich Bis so anschaut, könnte man in der Tat auf gewisse Gedanken kommen. Da sind die in Heimarbeit vollgekritzelten Cover. Da sind viel zu enge, buntbedruckte T-Shirts und Comicfiguren-Alter-egos. Sci-Fi Steve! John Disco!! Da sind die Maikäfer- Haarspangen von Sängerin Manda Rin (!!!), die voll Stolz sagt: „Ich bin ein pummeliges und schüchternes Mädchen. Wenn ich in einer Popgruppe spielen kann, dann kann das jeder.“
Wenn man aber hört, mit welcher Selbstverständlichkeit die Schotten nahezu alles, was in den vergangenen zwanzig Jahren in Pop-England schön und berühmt war, zu einem Gesamtkinderkunstwerk adaptieren, dann hat das schon etwas Altmeisterliches, Spätpostmodernistisches. Bananarama beschallten ihre Laufställe, als Achtjährige sympathisierten sie mit der Class of 86. Als die Stone Roses die Insel im Sturm nahmen, waren sie noch ungeküßt. All diese Einflüsse hört man, zuvorderst aber eine Liebe zum Punk, als Krach und als Haltung. Erstaunlicherweise verträgt sich diese Liebe prima mit Abzählreimen.
Sex Pistols, Madness, X-Ray- Spex – von den nationalen Größen können Bis einzig die Smiths nicht leiden. Am Tributalbum „The Queen is dead“ haben sie sich nur beteiligt, um an einem Smiths- Stück ihre ganze Wut auf die Band auszulassen und gleichzeitig 4.000 Pfund zu verdienen. Morrissey, dieser gefühlsbourgeoise Bohemien, scheint wie ein rotes Tuch auf sie zu wirken. Dabei haben sie ihm eine Menge zu verdanken, zum Beispiel die Erkenntnis, daß man den DJ hängen muß, wenn er andauernd lebensfernes Zeug spielt. Bis nehmen ihre Jugend und ihre Kindlichkeit und alles, was sonst so an Treibstoff im Haushalt herumfliegt, verquicken es mit Geschichtskenntnis und erlangen so jene Sorte abgefeimter Niedlichkeit, zu der hierzulande nur Tocotronic fähig sind. Dann wird ohne großes Brimborium, aber voll Inbrunst die Frage nach Kunst und Leben gestellt. Was kannst du tun, fragt diese Musik, außer Musik zu hören? Und: Können wir mit dir rechnen? Pop, der weit über sich hinaus weist, der weit über sich hinaus will.
Mittlerweile gibt es das Gefühl auch auf Langspielplatte. Aber besser, genauer läßt es sich auf den Singles nachvollziehen, die in Glasgow auf dem Wohnzimmerlabel Chemikal Underground und auf dem Bis-eigenen Label Teen- C-Recordings erschienen sind. Ausschnitte aus dem Bis-Frühwerk hat die Beastie-Boys-Hausmarke Grand Royal herausgebracht. Hier wagt der Punk auch gerne mal ein Tänzchen in der „School Disko“. Wie im Vorbeigehen wird dabei die eine, historische Sekunde beschworen, als Punk und Disco – beides Künste, die auch praktische Lebensbewältigung sein wollten – sich die Lippen zum Kuß reichten.
Die Stücke – im besten Sinne des Worts: Stückwerk. Der Drei- Minuten-Reißer „Teen-C-Power“ ruft zu einer Revolution auf, die kein Programm hat und trotzdem kein hohles Geschwätz ist. Als ein New Musical Express-Interviewer genau wissen wollte, was sich hinter dem Begriff „Teen-C-Power“ verbirgt, ließ sich die Band auf keinen Forderungskatalog festnageln. Der Neugierige zog frustriert davon. Er wußte scheinbar nichts anzufangen mit einem Revolutionslied, das weder utopischer Sermon noch Protestsong ist. Eher schon eine euphorisch aus der Hüfte geschossene Aufforderung zum permanenten Wachsein: Watch your Standpunkt! Was an dem einen Ort Opposition ist, kann am anderen Ort affirmativ sein.
„Die ersten Riot Grrrls, die du mit nach Hause nehmen und deinen Eltern vorstellen kannst“, hat man Bis in England genannt. Das trifft die Sache nicht und paßt besser zu Kenickie aus dem rauhen Norden, die sich wie Bis den Süßer-Vogel-Jugend-Bonus gern zu eigen macht. Auch sie tönen bisweilen aus der Kinderperspektive: „When I grow up, I wanna be a punka.“ Doch während Bis eine Ahnung davon vermitteln, wie schwierig es für 19jährige ist, 19 zu sein, rufen Kenickie einfach Jugend als Heilsprogramm aus. Gepaart mit einer Prise Küchenmarxismus und Torie-Haß sollte das in England genug Stoff hergeben für eine Minirevolution made bei EMIdisc. Vage gegen den Staat sein, Spaß haben wollen, alles haben wollen. Der ganze geile, unverbesserliche Scheiß.
Kenickie sind schlagfertig bei Interviews und lustig auf der Bühne. Sie tragen den Lippenstift dick auf und rufen „Champagner her!“ Allein deshalb halten sie sich schon für Blondie. Und die Musik? Nevermind. Es sind halt Akkorde auf einer Gitarre. Nichts, was Hole und Bikini Kill nicht früher und wütender gemacht hätten. Mit ihrem Witz-Ansatz beweisen Kenickie lediglich, daß die Medienkonstruktion „Riot Grrrl“ für diejenigen, denen sie hätte nutzen können, nach hinten losgegangen ist. Das Abzeichen „Riot Grrrl“ taugt zu nichts mehr. Außer zum dummschlauen Spiel. Oliver Fuchs
Bis: „The new Transistor Heroes“ (Wiiija/Alternation/Intercord)
Bis: „This is Teen-C-Power“ (Grand Royal)
Kenickie: „At the Club“ (EMIdisc)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen