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Ex-Geheimdienstler plaudert über Spionage

■ Bundeskanzleramt will kritisches Buch über den BND verschwinden lassen

Bonn (taz) – Der eine heißt Markus Wolf und war Chef der Auslandsspionage der DDR- Staatssicherheit. Der andere heißt Waldemar Markwardt und hat jahrzehntelang im BND, dem Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik, gearbeitet. Beide sind Mitte 70, beide haben ein Buch veröffentlicht. „Spionagechef im geheimen Krieg“ heißt das eine, „Erlebter BND“ das andere. Doch während der eine, Wolf, durch das Land zieht, um aus seinem Buch vorzulesen, kämpft der andere, Markwardt, darum, daß sein Buch überhaupt auf dem Markt bleibt. Wenn es nach dem Bundeskanzleramt in Bonn geht, soll es vernichtet werden.

Markwardt hat von 1952 bis 1985 im Bundesnachrichtendienst und dessen Vorläufer, der Organisation Gehlen gearbeitet; unter anderem in der militärischen Aufklärung des Ostblocks. Mehr als zehn Jahre nach seiner Pensionierung schrieb Markwardt dann ein Buch über diese Zeit, 427 Seiten dick. Er wollte helfen, erklärt Markwardt, den BND aus seinem Negativimage herauszuführen. „Kritisches Plädoyer eines Insiders“ nennt er sein Buch im Untertitel.

Als loyaler Beamter legte er das Manuskript seinem ehemaligen Dienstherrn zur Absegnung vor. Doch der BND sagte kategorisch nein. Markwardt wandte sich an das Bundeskanzleramt. Von dort kam ein halbes Jahr später Nachricht. Im Gegensatz zum BND erteilte das Kanzleramt zwar grundsätzlich die Genehmigung zur Veröffentlichung, allerdings mit einer Vielzahl von Einschränkungen. Zum Teil einzelne Sätze, manchmal ganze Seiten, insgesamt sollten mehr als 30 Seiten gestrichen werden. Darunter finden sich eher komische Stellen, wie die, daß BNDler im Dienst schon mal „ein Schläfchen halten“. Für den Bonner Zensor allerdings eine „despektierliche Äußerung“.

Andere Passagen sollten herausgenommen werden, weil sie weiterhin der Geheimhaltung unterlägen: Zum Beispiel über Einsätze in Osteuropa, die vor allem in den 50er Jahren, O-Ton Markwardt, „mit einem Desaster endeten“, sprich mit der Hinrichtung der Agenten; über vom BND angewandte Pressalien gegen Personen, um sie zur Mitarbeit zu zwingen (O-Ton Markwardt: „Nötigung“); über Geschäftsleute und Journalisten, die als Informanten des BND dienen; über Observierungstechniken, die nach wie vor angewandt werden.

Allen Zensurabsichten des Kohlschen Amtes zum Trotz erschien das Buch im Sommer letzten Jahres ungekürzt. Im kleinen Anita-Tykve-Verlag des chinesisch-deutschen Publizisten Xing-Hu Kuo, nebenbei SED-Opfer und langjähriger Bautzen-Häftling. Daraufhin kam bei Buchautor Markwardt ein weiterer Brief aus Bonn an. Man leite nun das „förmliche Disziplinarverfahren“ gegen ihn ein, hieß es darin. Dem ehemaligen Geheimdienstler droht eine Kürzung seiner Pension. Autor und Verleger blieben standhaft. Inzwischen sind etwa 600 Exemplare des Buches verkauft, zum Großteil im Raum Pullach/München, dem Sitz des BND.

Vor kurzem erreichte Markwardt das nächste Schreiben des Bundeskanzleramtes. Nun wird ihm das Angebot unterbreitet, das Disziplinarverfahren gegen ihn einzustellen – wenn er alle noch nicht verkauften Exemplare seines Buches vom Markt nehme und auf weitere Auflagen verzichte. Thomas Moser

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