: Sein weiteres Schicksal ist bis heute ungeklärt
■ Er floh in Frauenkleidern vor den Nazis, baute die DDR-Polizei auf und wurde verschleppt. Freya Klier über „Das kurze Leben des Robert Bialek“ (23 Uhr, ARD)
Wäre er etwas anpassungsfähiger gewesen und ein bißchen vorsichtiger, Robert Bialek säße heute wahrscheinlich mit dem Rest des SED-Politbüros auf der Anklagebank. Doch so war das Leben des Weggenossen Honeckers nicht.
Freya Klier hat dieses Leben nachgezeichnet: Es beginnt, als Bialek Aktivist im sozialdemokratischen und später im kommunistischen Jugendverband ist. Der Arbeitersohn aus Breslau wird 1935 verhaftet und zu fünf Jahren „Schutzhaft“ verurteilt. Als der Tbc-Kranke mit 25 entlassen wird, geben ihm die Geheimdienst-Ärzte noch zwei Monate. Gegen jede Prognose überlebt er, taucht unter und bewegt sich fast zwei Jahre nur in Frauenkleidern durch die Stadt.
Das Versteckspiel ist erst zu Ende, als die Russen Breslau befreien – und die sehen ihn dort gleich für höchste Aufgaben vor. Wenig später wird er nach Dresden geschickt, um die Jugendarbeit aufzubauen. Man wird an noch höherer Stelle auf ihn aufmerksam und holt ihn nach Berlin, wo er die neue Volkspolizei aufbaut. Bis hier gleicht Bialeks Lebenslauf der Musterbiographie eines Widerstandskämpfers, der die DDR aufbaut.
Warum wurde sein Name dennoch aus den DDR-Geschichtsbüchern getilgt? Es gibt kaum Fotos, kein Filmmaterial, nur ein paar Tonbandmitschnitte. Angesichts dessen kann man den Mut Freya Kliers nur bewundern, einen 45-Minuten-Film daraus zu machen. Mit dem Material und Interviewpassagen von Zeitzeugen gelingt ihr das kleine Kunststück, ein lebendiges Porträt und eine spannende Dokumentation zugleich zu schaffen.
Sie zeigt, wie Bialek auch im neuen Staat aneckt: Er wird kurzerhand abgesetzt, als er über SA- und SS-Leute in der neuen Polizei klagt, und „zur Bewährung“ in die Provinz geschickt. Als Kreisvorsitzender stößt er wieder die Funktionäre vor den Kopf. Letzte Bewährungschance: Als „Kulturdirektor“ in der Waggonbaufabrik in Bautzen. Freilich „bewährt“ sich Bialek auch hier nicht: Im August 1953 entgeht er der Verhaftung, indem er in den Westen flüchtet.
Von nun an meldet sich der zum Renegaten Gestempelte jeden Donnerstag über BBC mit nüchternen Analysen der Lage in der DDR. Im Waggonbau verfehlt die Frühschicht freitags regelmäßig ihr Produktionssoll, weil die Arbeiter die Sendung ihres alten Kulturdirektors diskutieren. Doch der geht weiter: Er baut ein Kontaktnetz auf. Sozialdemokraten sollen sich gegenseitig in die SED-Leitungen wählen und so einen Machtwechsel vorbereiten.
Das bleibt der Stasi natürlich nicht verborgen. Im Februar 1956 wird der ehemalige Generalinspekteur von der Stasi auf einer fingierten Geburtstagsparty betäubt und in den Osten verschleppt. Hier verlieren sich seine Spuren. Man will ihn in Bautzen gesehen haben, vielleicht wurde er auch in Berlin-Hohenschönhausen festgehalten und gefoltert. Im Frühjahr 1956 bekommt Inge Bialek einen anonymen Anruf: Ihr Mann sei tot.
Gestern verurteilte das Berliner Landgericht den heute 83jährigen Stasi-Agenten Herbert H. zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten wegen Freiheitsberaubung. Er hatte Bialek entführt. Peter Walther
„Der Fall Robert Bialek“ zudem als Radiofeature: 22.30 Uhr, SFB 3
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen