Gestörte Männlichkeitsbilder

Kriminalität und Geschlecht im Kulturvergleich: Joachim Kersten untersucht, warum Männer ständig unter Strom stehen. Fazit: Nicht der Gene wegen  ■ Von Klaus Farin

Frauen morden nicht nur anders, sondern auch seltener. Und schon gar nicht in Serie oder anonyme Opfer, zum Beispiel wegen ihrer Hautfarbe. 98 Prozent aller rassistischen Übergriffe auf Deutschlands Straßen werden von Tätern begangen, ebenso acht von zehn der sonstigen schweren Straftaten. Männer sind unbestreitbar krimineller als Frauen. Verdanken wir unsere mitunter enorme aggressive Energie einem Mißgeschick bei der Hormonausschüttung? „Der Glaube an einen ,natürlichen‘ Unterschied zwischen den Geschlechtern ist Folge einer kulturell bedingten und zudem eurozentristischen Sichtweise“, hält der Kriminalsoziologe Joachim Kersten dagegen. Er hat mit seiner Studie über Männlichkeitsbilder in Australien, Japan und Deutschland der Debatte über „Männlichkeit & Gewalt“ neuen Schwung verpaßt. Der Kulturvergleich „widerlegt die Annahme eines kausalen Zusammenhangs“, behauptet Kersten. Nicht die Gene, sondern „beschreibbare und erklärbare soziale und kulturelle Faktoren“ führen zur Gewalt. Die Reduzierung von Männergewalt auf eine quasi „naturgegebene“ Eigenschaft des Mannes blende sowohl „die Bedeutung der Alters-, Klassen-, Status-, Berufs- und Religionszugehörigkeit“ aus als auch die Tatsache, daß sich Männergewalt auch auf der Opferseite „überwiegend gegen die Vertreter des männlichen Geschlechts“ richte.

Die männlich dominierte kriminologische Forschung liefert bis heute kaum Ursachenanalyse. Männlich dominierte Kriminalität gilt gewissermaßen als „normal“. Wenn Geschlechtszugehörigkeit in den Blick kommt, heißt dies oft nicht mehr, als daß eine weitere Variable in den Daten-„Topf“ gegeben und neu umgerührt wird.

Kerstens eigenes theoretisches Gerüst bilden die Arbeiten des australischen Soziologen Robert Connell zur „maskulinen Hegemonität“, der zusätzlich zu den Faktoren Klasse und Ethnie das Verhältnis zwischen den Geschlechtern als Machtfaktor untersuchte. Kersten verließ sich jedoch nicht nur auf Sekundäranalysen und Übersichtsdaten, sondern betrieb in den Vergleichsländern eigene Feldforschung.

Kerstens vergleichende Darstellung der Geschlechterverhältnisse und der männlich dominierten Kriminalität in Australien und Japan, die gut die Hälfte des Bandes füllt, beschreibt zunächst sehr genau, wie verschieden sich Männlichkeiten trotz ihres gemeinsamen Zieles der Machtsicherung entwickeln können. „Männlichkeit“ ist kein Naturprodukt, sie wird „durch Erziehung, Riten und andere Praktiken erst einmal hergestellt“. Sie unterliegt einer „normativen Kontrolle“ – vorwiegend durch Vertreter des eigenen Geschlechts, die bestimmen, was „richtig männlich“ ist. Diese Anforderungen können in einem sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmen von immer weniger Männern erfüllt werden. So sind „Ernährer-, Beschützer- und Erzeugermännlichkeit“ häufig nutzlos, und alternative Männlichkeitsbilder existieren nicht. Vor allem marginalisierten jungen Männern bleibt dadurch wenig mehr als die Gemeinschaft der gleichgestellten Geschlechtsgenossen und ritualisierte, oft bis zur Selbstzerstörung riskante Ersatzhandlungen. Diese weichen nur „fließend“ vom malestream ab. Die vehemente Agitation der sogenannten Neuen Rechten gegen emanzipierte Frauenrollen erscheint so gesehen genausowenig zufällig wie die Renaissance traditioneller Männlichkeitskulte wie Skinheads, studentische Verbindungen und Straßengangs.

Joachim Kersten: „Gut und Geschlecht. Männlichkeit, Kultur und Kriminalität“. de Gruyter, Berlin/ New York 1997, 216 Seiten, 48 DM