: Kreuzzug gegen den Muezzinruf
Der Streit um den Muezzinruf nimmt im Ruhrgebiet Formen eines „Kulturkampfes“ an. Das Selbstbewußtsein der Muslime verärgert christliche Fundamentalisten ■ Aus dem Revier Walter Jakobs
Hüseyin Bal versteht die ganze Aufregung nicht. Gut vier Jahre lang ertönt der Muezzinruf via Lautsprecher nun schon vom Dach der in einem normalen Wohnhaus integrierten Moschee in Dortmund-Eving. Bis vor wenigen Monaten schien das kaum einen zu stören. Nur der benachbarte Zahnarzt habe sich beschwert. „Ansonsten“, so der zur Moscheeleitung zählende Bal, „hatten wir keine Probleme.“ Viel zu hören ist von dem täglichen Gebetsruf (türkisch: Ezan) auf der vielbefahrenen Evinger Straße ohnehin nicht. Das Kirchengeläut im Stadtteil verursacht gewiß mehr Lärm. Doch um Phonstärken geht es beim Streit um den Muezzinruf nicht – weder in Dortmund noch in Duisburg, wo allein die Ankündigung des öffentlichen Gebetsrufes Anfang des Jahres einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hatte.
Worauf die Kritiker tatsächlich aus sind, macht Klaus Neumann, Sprecher der Evinger CDU, unmißverständlich klar: „Wir lehnen den Gebetsruf des Muezzins ab, da dieser Gebetsruf zu einer weiteren Verstärkung der Verfremdung führt und politisch festgestellt werden muß, daß in diesem Stadtbezirk der Minderheitenschutz Grenzen hat.“ Per Parteibeschluß haben die Christdemokraten im Stadtbezirk das Nein inzwischen festgeschrieben, da durch den Gebetsruf „nichtmoslemischen Bürgern regelmäßig und quasi unausweichlich Aussagen aufgezwungen werden, die ihrer religiösen Einstellung nicht entsprechen“.
Wenn Bernd Neuser solche Töne hört, fällt es ihm mitunter schwer, nicht in heiligen Zorn zu geraten. Daß die „Ausrufung des Ezans unaufgebbarer Teil der Religionsausübung“ für Muslime ist und auch – wie das Glockenläuten – öffentlich möglich sein muß, steht für den Islambeauftragten der Evangelischen Kirche in Dortmund-Nordost außer Frage. Als Gemeindepfarrer in Eving-Lindenhorst arbeitet Neuser seit Jahren mit der muslimischen Gemeinde an der Evinger Straße eng zusammen. Das reicht von islamisch-christlichen Jugendwochenenden über deutsch-türkische Nähkurse bis hin zu interreligiösen Gebeten. Die „gute Zusammenarbeit“ mit der Moschee habe durch den jetzt aufgebrochenen Konflikt zwar keinen Schaden genommen, aber insgesamt registriert Neuser im Stadtteil doch eine „rapide verschlechterte Stimmung“. Den christlichen Nachbarn der Moschee hat er inzwischen in einem Brief geraten, den muslimischen Gebetsruf „ruhig einmal zum Anlaß zu nehmen, darüber nachzudenken, daß auch wir Grund zum Gebet haben“.
Ausgestanden ist der Streit indes noch lange nicht. Letztlich, so glaubt Neuser, „geht es dabei auch gar nicht um den Gebetsruf, sondern der war nur der Auslöser“. Tatsächlich breche jetzt die jahrzehntelang von Deutschen wie Türken gleichermaßen praktizierte „doppelte Verdrängung“ auf, die „Illusion“ vom „Gastarbeiter“, der nach dem Arbeitsleben wieder in seine Heimat zurückkehrt. Nachdem die erste „Gastarbeiter“-Generation ins Rentenalter gekommen sei und sich zunehmend für ein Zusammenleben mit Kindern und Enkelkindern in Deutschland entscheide, werde nun klar, daß die Muslime auf Dauer Teil dieser Gesellschaft bleiben werden. Weil die Zeit der Provisorien sich auch in bezug auf die Moscheegemeinden, die bisher ihre Religion vorwiegend auf „Hinterhöfen“ praktiziert haben, zu Ende neige, zeichne sich eine Zäsur ab, die viele Menschen verunsichere. Zum erstenmal nach der Vernichtung der Juden in Deutschland werde „wieder sichtbar, daß wir in einer multireligiösen Gesellschaft leben“. Weil diese Entwicklung öffentlich solange totgeschwiegen worden sei, „rumst und kracht es jetzt besonders häufig“, glaubt Neuser. Einen Anlaß zur Resignation sieht der Pfarrer indes nicht, denn „im Grunde handelt es sich dabei um einen Prozeß der Annäherung auf dem Weg in die multireligiöse Realität“.
Auch Ahmad Aweimer, Sprecher des islamischen Bundes in Dortmund und Unterstützer des zusammen von Christen und Muslimen initiierten Islam-Seminars, blickt trotz des leidenschaftlichen Streits „optimistisch“ in die Zukunft: „Ich glaube, die Vernunft und das Recht werden siegen. Wir Muslime sehen im Grundgesetz eine sichere Basis, um in diesem Land zu leben. Wir sind Bürger dieses Landes und haben die gleichen Rechte und Pflichten. Dazu zählt die Religionsfreiheit.“
Juristisch scheint die Sache ziemlich klar. Eine höchtsrichterliche Entscheidung über den Rechtsanspruch auf einen lautsprecherverstärkten Muezzinruf steht zwar noch aus, aber auf unterer Ebene haben Gerichte – etwa in Düren – entsprechende Anträge positiv beschieden. In ihrer Position bestärkt sehen sich die Muslime auch durch ein von der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung jüngst verbreitetes Gutachten. Demnach ist der islamische Gebetsaufruf dem Kirchengeläut juristisch gleichzusetzen. Ganz untersagt werden kann er nicht. Nur bezüglich Häufigkeit und Lautstärke sind behördliche Auflagen möglich. Gegen das Gutachten gibt es allerdings schon die ersten Einwände. So wertet der Dortmunder Rechtsdezernent Wolfgang Kenneweg es als „einen Skandal“, daß die Ausländerbeauftragte Cornelia Schmalz-Jacobsen die von einem Studenten der Rechtswissenschaft erstellte Expertise überhaupt verbreitet habe.
Geradezu kreuzzugartig muten die Angriffe auf den Muezzinruf aus Teilen der evangelischen Kirche an. Besonders hervorgetreten ist dabei Pfarrer D. Reuter von der Kirchengemeinde in Duisburg- Laar.
In einer auch vom Presbyterium der Gemeinde mitunterzeichneten Resolution wird der muslimische Gebetsruf schlicht als „antichristlich“ und als „Affront gegen glaubende Christen“ dargestellt. Für den Pfarrer und Mitarbeiter der evangelischen Beratungsstelle für Islamfragen in Wuppertal, Holger Nollmann, belegt der Duisburger Rundumschlag gegen die Muslime, „daß es auch reichlich Fundamentalisten in unseren eigenen Reihen gibt“. In Kürze will die evangelische Landeskirchenleitung in NRW, die sich bisher um eine theologische Stellungnahme zum Islam nach Ansicht vieler kritischer Theologen „herumgedrückt hat“, eine Grundsatzerklärung zur „Begegnung von Christen und Muslimen“ vorlegen. In Duisburg selbst sorgte nicht zuletzt das von Reuter schon Ende letzten Jahres in den örtlichen Zeitungen per Anzeige verbreitete Dokument für eine Zuspitzung des ohnehin hochemotionalisierten Streites.
Der sich zunächst per Leserbriefe und Bürgerversammlungen ausdrückende Protest nahm in dem Arbeiterviertel in Duisburg- Laar derart bedrohliche Züge an – bis hin zu anonymen Morddrohungen gegen Muslime und städtische Bedienstete –, daß der Moscheeverein nach Gesprächen mit der Stadt sich genötigt sah, seinen Antrag zunächst für ein Jahr zurückzuziehen. Bis dahin wollen moderate Christen und Muslime in Zusammenarbeit mit der Stadt und freien Trägern aus dem Sozialbereich durch Begegnungen und Aufklärungsinitiativen für eine „religiöse und gesellschaftliche Toleranz“ in Duisburg werben.
Unterdessen tourt Pfarrer Reuter weiter durch NRW. Ende August wird er in Ratingen auf Einladung des christlichen Männervereins (CVJM) wieder gegen den auch hier beantragten öffentlichen Muezzinruf wettern und im gleichen Atemzug wohl erneut an die Christenpflicht erinnern, den „Muslimen in Liebe zu begegnen“. Eine christliche Liebesvariante, vor der nicht nur den Muslimen graust.
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