piwik no script img

„Wir hassen die Bullen“

■ Bremen: Ausländische Jugendliche prügeln sich mit Polizei

Bremen (taz) – In der kleinen Kattenturmer Kneipe unweit vom Marktplatz herrscht schon am frühen Mittag Hochbetrieb. „Annnngellll“, schmettert die Kelly Family ihren Appell für eine bessere Welt aus der Jukebox. Ein Mann Mitte Fünfzig lehnt an der Theke aus Mahagoni-Imitat. „Das ist alles ein Generationskonflikt“, lallt er und starrt in sein halbvolles Bierglas. „Die Jugend von heute ist eben aggressiver.“ Binnen 24 Stunden haben sich im Bremer Stadtteil Kattenturm ausländische Jugendliche regelrechte Straßenschlachten mit der Polizei geliefert.

Am Sonntag rotteten sich bei einem Straßenfest rund 50 Jugendliche zusammen, um die Festnahme eines 17jährigen zu verhindern. Der Junge hatte versucht, den Münzschaft eines Autoscooters zu knacken. Die Jugendlichen bewarfen die Beamten mit Steinen. In der Nacht zum Dienstag kam es wieder zu Krawallen. Als die Beamten bei einer Verkehrskontrolle einen Jugendlichen überprüfen wollten, rotteten sich 150 ausländische Jugendliche zusammen. Sie warfen mit Steinen und zerbeulten vier Einsatzwagen. Gegen fünf Jugendliche ist zwischenzeitlich Haftbefehl wegen schweren Landfriedensbruchs erlassen worden. „Rede nicht so einen Scheiß“, herrscht die Wirtin, vor deren Haustür sich die Krawalle abgespielt haben, den Mann an der Theke an. „Das hat mit Generationskonflikt nichts zu tun. Das sind die Türken. Die rotten sich zusammen, weil sie in der Minderheit sind und nichts zu sagen haben.“

Der Polizeibeamte auf der Wache, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Kneipe liegt, schüttelt den Kopf. „Wir dürfen nichts sagen, aber eins können Sie mir glauben: Wir haben kaum den Bericht fertiggeschrieben, da lachen die Jugendlichen uns schon wieder durch die Scheibe an. Wir kommen einfach nicht dagegen an. Ich glaube, das ist die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen in diesem Stadtteil.“ Wie viele Anzeigen registriert werden, weiß er nicht. „Es sind etliche, und es geht quer durch das Gesetzbuch.“ Auch der Innensenator hat keine genauen Zahlen über die Anzahl der Straftaten in den einzelnen Stadtteilen. Nur die veraltete Antwort auf eine CDU- Anfrage hat die Behörde zur Hand: 292 Fälle schweren Diebstahls wurden von Januar 1995 bis Oktober 1996 in Kattenturm registriert. 78 Straftaten gingen laut Polizei auf das Konto von 23 Kindern und Jugendlichen.

Fast jeder vierte Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren, der in den tristen Mietskasernen und Hochhäusern Kattenturms lebt, ist Ausländer. Die meisten sind arbeitslos. Das Freizeitangebot für Jugendliche ist nach einer Bedarfsanalyse der Sozialsenatorin „unterdurchschnittlich und zu schlecht“. Es gibt kein städtisches Freizeitheim, und das Café „Dar Alsalam“ (Haus des Friedens), ein Treffpunkt für junge Libanesen, ist nur 16 Stunden in der Woche geöffnet. Seit 1994 bemüht sich deshalb der Runde Tisch, an dem Polizisten, Streetworker und Politiker sitzen, um die Jugendlichen.

Doch Cemal, Nafer, Kader, Thorsten, Mehmet und Ezettin haben noch nie etwas vom Runden Tisch gehört. In ihrer Clique gibt es Deutsche, libanesische Kurden, Türken, Iraner. Der „Haß auf die Bullen“ eint sie. „Wir sind die Araber-Power“, sagt Ezettin. „Ich bin 14 oder 16 Jahre alt, ganz wie du willst.“ Autos aufbrechen sei seine „Lieblingsbeschäftigung“. „Das ist gagig, Klauen macht auch Spaß. Guck mal hier, das Handy. Geklaut“, sagt er stolz und deutet auf das Telefon am Gürtel. „Was soll ich denn sonst tun?“

„Ich hasse Deutschland“, sagt die 18jährige Kader. „Es ist langweilig hier. In der Türkei ist alles besser. Aber dahin kann ich nicht zurück. Ich bin doch hier aufgewachsen.“ Als sie gefragt wird, ob sie einen Beruf habe, lacht das Mädchen. „Ich habe den erweiterten Hauptschulabschluß gemacht. Seitdem sitze ich zu Hause. Das geht vielen so. Die sind schon süchtig danach, zu klauen oder Autos aufzubrechen. Die können gar nicht mehr anders.“ Der einzige, der einen Job hat, ist Thorsten. Doch auch er ist nicht gut auf „die Bullen“ zu sprechen. „Nicht wahr, wenn du Bullen siehst, gehst du auf die los“, sagt der Lagerarbeiter und tätschelt den Kopf seines Bullterriers. „Bullen fühlen sich in ihrer Uniform wie Gott. Mich haben sie auch schon mal zusammengeschlagen auf einer Wache. Die sollen ihre Uniform mal ausziehen und herkommen. Dann werden wir ja sehen...“

Nach den jüngsten Auseinandersetzungen haben sich die Streetworker, Politiker und Polizisten jetzt wieder an den Runden Tisch gesetzt, um den Konflikt zu entschärfen. Eingefallen ist ihnen wenig: „Die repressive Tätigkeit der Polizei wird ohne Ansehen von Kulturkreis oder Nationalität im Rahmen des Strafverfolgungszwanges fortgesetzt“, hieß es in der Presseerklärung. Kerstin Schneider

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen