piwik no script img

„Es ist einfacher, die Schule zu schwänzen!“

■ Auf dem Kinderrechts-Kongreß „Gleichberechtigung ohne Altersgrenzen“ wurde die Abschaffung der Schulpflicht gefordert. Die Erwachsenen hatten dafür wenig Verständnis

Bunte Haare, Nasenringe und Rastalocken: der Innenhof der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg ist voller Jugendlicher, die nicht durchschnittlich aussehen wollen. In dem bunten Haufen laufen einige sonnengebräunte Jungen und Mädchen umher, die sich spanische Wortfetzen zurufen. Ein Tisch mit Info-Broschüren steht in der Sonne, schließlich ist man ja nicht zum Spaß hier. Ein großes Plakat weist auf den Zweck der Wochenendveranstaltung hin: „Kinderrechts-Kongreß – Gleichberechtigung ohne Altersgrenze“.

Veranstaltet wird der Kongreß, an dem im Rahmen eines Austausches auch Jugendliche aus Nicaragua und Honduras teilnehmen, von den „KinderRÄchTsZÄnkern“ (K.R.Ä.T.Z.Ä). Hinter dem Namen steht eine Gruppe von rund zwanzig „Nichterwachsenen“, die bereits durch einige spektakuläre Aktionen in der Vergangenheit aufgefallen sind. So zogen der damals sechzehnjährige Benjamin Kiesewetter und der dreizehnjährige Rainer Kintzel 1995 erfolglos vor das Bundesverfassungsgericht, um ihr Wahlrecht einzuklagen.

Den etwa siebzig Jugendlichen des Kongresses geht es um ureigenste Interessen: „Die Rechte der Kinder werden unter dem Deckmantel des Kinderschutzes immer wieder beschnitten“, faßt Benjamin zusammen. Bestes Beispiel ist für ihn das Verbot von Kinderarbeit. Die bestehende Gefahr der Ausbeutung könne durch „andere Mittel“ ausgeschaltet werden als die völlige Beschneidung dieses Rechts. Vorstellbar seien beispielsweise „staatliche Sanktionen“. Er räumte jedoch ein, daß das schwierig „in der Realität“ umzusetzen sei.

Weiterhin fordern die Jugendlichen von K.R.Ä.T.Z.Ä die Abschaffung der Schulpflicht und statt dessen ein Recht auf Bildung. Bereits das Grußwort des Bürgermeisters von Prenzlauer Berg, Reinhard Kraetzer, offenbarte die Welten, die zwischen ihm und den Jugendlichen liegen: „Als alter Mann kann ich mit euren Forderungen nicht immer konform laufen.“ Der Professor für Soziologie und Erziehung von der Universität Bremen, Otmar Preuß, schloß sich zwar den Kids insofern an, daß auch er meinte, Erziehung sei unnötig. „Kinder haben ein eigenes moralisches Verständnis.“ Doch fordern oder gar abschaffen sollten sie nichts. Begründung: „Ich sehe die Gefahr, sich an bestimmten Problemen aufzuhängen.“

Eine Meinung, die hart diskutiert wurde. Manchmal müsse man eben Wände einreißen, um Türen einzubauen, bemerkte ein Junge. Ein anderer widersprach: „Nichts muß man einreißen.“ Viel einfacher sei es, „die Schule einfach zu schwänzen“. Er erzählte von einem Selbstversuch, bei dem er der Schule einfach ferngeblieben war. Ein gegen seine Eltern angestrebter Prozeß des Landes Bayern ist dann zu seinen Gunsten ausgegangen.

Inzwischen geht er doch wieder in die Schule. „Aber nur weil ich es will!“, wie er betonte. Corinna Budras

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen