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Geschichtsstunde bei Siemens

■ Siemens begeht 150jähriges Firmenjubiläum. Die aktive Unterstützung der Nationalsozialisten wird dabei geflissentlich übersehen. Kritische Ausstellung wurde von Polizei genehmigt und dann vom Tiefbauamt untersagt

Die Siemens AG feiert sich selbst und 150 Jahre Erfolg: In Siemensstadt wurde am Samstag die Geschichte „Vom Handwerksbetrieb zum Weltunternehmen“ mit einem Tag der offenen Tür zelebriert. Daß Siemens jedoch in der offiziellen Jubelfeier ein paar Kapitel der Firmengeschichte unter den Tisch fallen läßt, zeigte eine Ausstellung von Kritikern am gleichen Tag.

Das „Aktionsbündnis 150 Jahre Siemens-Entschädigung jetzt!“ hatte auf Tafeln, direkt vor den Werkstoren am Siemensdamm, auf die Verstrickung von Siemens mit den Nazis aufmerksam gemacht. Thematisiert wurde dort die „Vorreiterrolle“, die Siemens bei der Einführung und Systematisierung von Zwangsarbeit“ gespielt hatte.

Es müsse „offengelegt“ werden, daß Siemens „aktiv“ die nationalsozialistische Politik unterstützt habe. Siemens dürfe sich nicht aus der „Verantwortung ziehen“, sagte Aktivistin Christine Krause. Aus diesem Grund forderte das Aktionsbündnis Siemens auf, „Entschädigungen an die Überlebenden und ehemaligen Zwangsarbeiter zu zahlen“. Laut Krause gehe es den „Überlebenden“ nicht nur um „finanzielle Entschädigung“, sondern vorrangig um die „Anerkennung des Unrechts, das ihnen angetan wurde“.

Die Dokumentation belegt, daß 1943 „über 30 Prozent der rund 200.000 Beschäftigten bei Siemens – dem damals drittgrößten deutschen Industriekonzern – zwangsverpflichtete Fremdarbeiter, Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und jüdische ZwangsarbeiterInnen“ waren. Auch hatte Siemens schon 1942 eine Produktionsstätte neben dem Frauen-KZ Ravensbrück, wo 2.100 weibliche Gefangene arbeiten mußten, errichten lassen. Schon im Vorfeld hatte es Unruhe um die Ausstellung gegeben. Die Genehmigung der Polizei lag bereits vor, als dem Organisator Klaus Schmitz telefonisch die Absage vom Tiefbauamt beschieden wurde. Begründung: Das Aufstellen von Tafeln würde „das Stadtbild stören“.

Unterdessen scheint die Siemens-Geschäftsleitung zusehends unter öffentlichen Druck zu geraten: So hatte Siemens nach über fünfzig Jahren, im März 1997, eine Gedenktafel für die ZwangsarbeiterInnen im Hof des Verwaltungsgebäudes anbringen lassen. Dort heißt es, man gedenke der „vielen Menschen, die gegen ihren Willen in unserem Unternehmen arbeiten mußten“. Abschließend wird aus der Kabbala zitiert: „Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“ Die für April geplante Einweihung fand jedoch nie statt, nachdem das Aktionsbündnis Proteste angekündigt hatte. Karen König

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