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Jonglieren mit schönen Zahlen

Der Neubau des Tempodroms soll rund 26 Millionen Mark kosten. Doch die Dachkonstruktion könnte die Kosten explodieren lassen  ■ Von Rolf Lautenschläger

Es gehört zu den besonderen Eigenschaften des Tempodroms, mit Illusionen und Risiken zu spielen. Das geschieht mit wunderbaren „arabischen Nächten“ ebenso wie mit Lichtinstallationen, musikalischen Zaubereien oder artistischen Varieténummern. Seit klar ist, daß das Zelt im Tiergarten 1999 dem Neubau des Bundeskanzleramts weichen muß, jonglieren die Tempodrom-Chefin Irene Moessinger und die Mitglieder der „Stiftung Neues Tempodrom“ noch mit einem weiteren Sicherheitsrisiko: der Kalkulation für den geplanten Neubau am Anhalter Bahnhof. Die Zahlen sind bis heute ungenau und schwer in den Griff zu bekommen. Läßt sich keine vernünftige Bilanz aufstellen, droht der „abgefahrenen“ (Eigenwerbung) Kulturinstitution, daß bis 1999 kein neues Tempodrom zustandekommt.

Für den „schönen winterfesten Neubau“, wie Moessinger von dem Modell schärmt, „mit einer Arena für 3.000 Zuschauer, einer zusätzlichen Bühne für 500 Personen sowie einem Liquidrom“, hatte der Stuttgarter Architekt Frei Otto im April einen Entwurf samt Kostenüberschlag vorgelegt. Der runde Bau mit gläsernen Wänden und einer leichten Membrankonstruktion als zeltförmige Dachlandschaft, so rechnete Otto vor, werde rund 26 Millionen Mark kosten. Das Gebäude könne als Beispiel für zukunftsweisendes Bauen – ebenso wie die Entwürfe des Architekten für die Expo in Montreal oder das Münchener Olympiadach in den siebziger Jahren – schnell und ressourcensparend am Anhalter Bahnhof entwickelt werden.

Frei Otto, der vom „Freundeskreis Neues Tempodrom“-Mitglied Roland Specker ins Tempodrom-Neubau-Boot geholt worden war, hatte seinen Entwurf, der gemeinsam mit zwei Stuttgarter Ingenieuren (Rasch/ Bradatsch) entstand, ganz bewußt auf die Summe von 26 Millionen Mark hin kalkuliert. Entspricht dies doch exakt der Summe, die für eine Finanzierung des neuen Tempodroms möglich erscheint.

Die Rechnung, die Moessinger für das Projekt aufmacht, klingt plausibel: Die Finanzierung des neuen Kulturzelts ruhe „auf vier Säulen“. Sieben Millionen Mark haben private Sponsoren – darunter Debis, Herlitz und Pannen- Olympia-Boß Lutz Grüttke – in Aussicht gestellt. Weitere sieben Millionen könnten aus Lotto-Mitteln bereitgestellt werden. Für die „dritte Säule“ sollen Gelder aus einem EU-Umweltförderungsprogramm fließen, den gleichen Betrag schließlich, nämlich sieben Millionen Mark, hoffen Moessinger, die Stiftung als Bauherr und Specker als Bauleiter, durch die Entschädigungsumme von der Deutschen Stadtentwicklungsgesellschaft (DEG) für den erzwungenen Umzug nach Kreuzberg zu erhalten. Den Rest soll die „Steinreich- Kampagne“ bringen.

Doch genau die „Entschädigungssäule“ entpuppt sich bis dato als Risikofaktor Nummer eins. Die DEG, die vom Bund und dem Land Berlin finanziert wird und die für die Entwicklungsmaßnahmen der Regierung zuständig ist, will nicht zahlen. Deren Begründung sei, erklärt Moessinger, daß das Tempodrom keinen langfristigen Mietvertrag besitze und zudem auf einem Grundstück stehe, das kostenfrei zur Verfügung gestellt worden war. Immerhin, so die Tempodrom-Chefin, habe „die Politik das Problem jetzt wahrgenommen“. Insbesondere Bundesbauminister Klaus Töpfer (CDU) dränge auf eine Entscheidung, während die Berliner Kulturemissäre sich noch zurückhielten.

Daß eine weitere Säule, nämlich die niedrig und schön gerechnete Kalkulation des Otto-Entwurfs, wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen könnte, will Moessinger nicht glauben. Die Zeltkonstruktion sei „einfach“, das Raumprogramm gegenüber früheren Vorstellungen „verkleinert“ worden und das große Problem der Akustik könne „gelöst“ werden. Außerdem habe man mit Specker, der schon die Reichstagsverhüllung von Christo erfolgreich managte, einen „Profi zur Kostenkontrolle“ für das Projekt gewonnen. Der Bauherr, die Stiftung Neues Tempodrom, sei froh, einen „solch erfahrenen Mann an Land gezogen“ zu haben.

Doch gerade Specker, der von Tempodrom-Freund Volker Hassemer aktiviert worden war, geht jetzt davon aus, daß sich der Kostenrahmen von 26 Millionen Mark nicht halten läßt. Schwierigkeiten könnten bei der technisch anspruchsvollen Membran-Sonderkonstruktion für das rund 4.300 Quadratmeter große Zeltdach entstehen. Zwar gebe es „genügend Erfahrungen mit dem Material“, sagt Specker. Welche Stärke – das heißt wieviel Schichten – die Membran erreichen müßte, damit bei Musikveranstaltungen nicht mehr als 40 Dezibel nach draußen dringen, müsse jedoch „noch geprüft“ werden. „Der Schallschutz gehört zu den wichtigen Dingen, die zu untersuchen sind.“ Deshalb sei es klar, daß die Kosten steigen. Specker: „Ich spreche jetzt schon von 30 Millionen Mark Investitionen.“ Außerdem räumt Specker ein, daß der mögliche Einsatz von PVC für das Zeltdach (wie bei bisherigen Leichtbaukonstruktionen verwendet) das Aus für den Otto-Entwurf bedeuten könnte. „Dann sind nämlich die EU-Mittel für umweltgerechtes Bauen weg.“

Doch nicht nur Fachingenieure bestätigen, daß ein Zeltdach dieser Art noch nicht gebaut wurde und die genauen Kosten schwer zu ermitteln wären, solange die Mehrschichtigkeit der Membran nicht geklärt sei. Denn mit jeder Schicht würde das Dach nicht nur rund 400 Mark pro Quadratmeter teurer, sondern auch der Unterbau, der mehr Gewicht zu tragen hätte. Frei Otto selbst gibt jetzt zu bedenken, daß der Bau des Zeltdachs noch einige Unbekannte in sich birgt. So seien für die Konstruktion der Membran „wissenschaftliche Untersuchungen nötig“. Außerdem müsse geklärt werden, ob die Dachhaut mit zwei oder mehr Schalen zu realisieren sei. Außerdem bemerkt er, daß die Baukosten von 26 Millionen Mark auf der „Basis einer Vorstudie“ entstanden seien und erst der „Vorentwurf eine genauere Kalkulation“ zuließe. Sicher sei jedoch, daß die „Dachkonstruktion mindestens fünfzig Prozent der Bausumme“ verschlingen werde. Otto: „Soviel kostet ein Zelt.“

Schaut man sich die Kalkulation, die dem Stiftungsrat vorliegt, genauer an, so stellt man fest, daß in der gesamten Bausumme von 26 Millionen Mark der Baukörper mit über 20 Millionen, das Dach aber nur mit rund 4 Millionen Mark ausgewiesen wird. Legte man nun die Meinung Frei Ottos der Rechnung zugrunde – fünfzig Prozent von 26 Millionen Mark gleich 13 Millionen – und addierte diese zu den rund 20 Millionen Mark hinzu, käme man auf 33 Millionen Mark. Für Otto ist dies kein Problem: Dann müßte woanders am Bau gespart werden. Wo, sagt er allerdings nicht, auch nicht, woher das Geld kommen soll, wenn die Kosten explodieren. Dann hat Irene Moessinger wieder ein Problem. Und das wäre schade.

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