: „Die Chinesen waren freundlich“
■ Peter Konicki (62) floh 1939 mit Mutter und Schwester nach Shanghai, wohin zuvor schon der jüdische Vater geflohen war
taz: Welchen Eindruck hatten Sie bei Ihrer Ankunft von Shanghai?
Peter Konicki: Auf der Schiffsreise dorthin haben wir in Bombay haltgemacht. Bereits dort wie später in Shanghai haben mich die Massen von Menschen beeindruckt und beängstigt. Shanghai war damals eine internationale Stadt mit verschiedenen Bezirken, die von den Franzosen, Briten, Amerikanern, Japanern und teilweise auch Deutschen sozusagen selbst verwaltet wurden. Das von den Engländern beherrschte internationale Settlement und die French Concession waren die besseren Viertel, wo sich das Geschäftsleben abspielte. Shanghai war in diesem Bereich eine moderne Stadt. In dem Viertel Hongkou, wo wir später hingehen mußten, waren viele Häuser 1937 im japanisch-chinesischen Krieg zerstört worden.
Wie war das Verhältnis zwischen Chinesen und jüdischen Flüchtlingen?
Mein Vater hatte bereits 1938 mit anderen Emigranten eine pharmazeutische Fabrik aufgebaut und Arzneimittel verkauft. Er kam auch mit Chinesen ins Geschäft, die später Kredite für neue Maschinen gaben. Wir Kinder haben in der Nachbarschaft mit chinesischen Kindern gespielt. In unseren Schulen waren allerdings keine Chinesen, sondern nur Migrantenkinder oder andere Ausländer. Wir hatten keine Probleme, mit den Chinesen auszukommen. Sie wie auch wir waren die Benachteiligten. Die Chinesen sind von den Japanern unterdrückt worden, und wir hatten Nazideutschland im Rücken.
Konnten die Chinesen unterscheiden, daß die jüdischen Flüchtlinge Verfolgte waren und keine deutschen Nazis, die es in Shanghai ja auch gab?
Den Anschein konnten wir gar nicht erwecken, weil unsere Wohnverhältnisse und Bekleidung sehr bescheiden waren. Die Masse der Chinesen hatte noch einen wesentlich niedrigeren Lebensstandard. Jeden Tag sah ich auf den Straßen tote Kinder, in Strohmatten eingewickelt, wenn ich zur Schule ging. Es gab viel Elend.
Waren die Flüchtlinge seitens der chinesischen Regierung willkommen oder nur geduldet?
Die ausländischen Mächte haben in Shanghai nach eigenem Gutdünken mehr oder weniger frei gewaltet und geschaltet, die chinesische Regierung war dort gar nicht mehr vorhanden. Später war die Stadt weitgehend von den Japanern beherrscht, die chinesische Nationalregierung hatte sich in andere Landesteile zurückgezogen und von daher keine Position zu den Flüchtlingen. Die chinesische Bevölkerung war absolut aufgeschlossen und freundlich. Die hat instinktiv zur Kenntnis genommen, daß die Flüchtlinge keine Unterdrücker waren. Sie hat mit uns die Primitivität und Einfachheit weitgehend geteilt.
Wann haben Sie in China von den Vernichtungslagern der Nazis in Europa erfahren? Erschien Ihnen diese Nachricht glaubhaft?
Ich würde bezweifeln, daß meine Eltern 1945 wirklich gewußt haben, wie die Juden vernichtet worden sind. Es gab in Shanghai eine Menge Zeitungen und Rundfunkstationen, die Migranten allein hatten drei oder vier Zeitungen täglich. Das Informationswissen war recht umfassend. Allerdings waren auch sehr viel Gerüchte dabei. Als die Japaner nach dem August 1945 Shanghai räumten und dann freier Nachrichten- und Postverkehr bestand, sprach sich die Nachricht von den Vernichtungslagern allmählich herum. Trotzdem konnte ich mir bis zuletzt nicht vorstellen, was hier in Europa geschehen war.
Wie haben Sie 1947 die Rückkehr nach Berlin empfunden?
Ich war schockiert über die Zerstörungen in Berlin. Ich kam ja aus einer mehr oder weniger heilen Stadt. Shanghai war eine Weltstadt mit einem pulsierenden Leben, an dem wir zwar nicht teilgenommen haben, das wir aber täglich sahen. Und dann diese Mondlandschaft hier in Berlin! Außer zu unseren Verwandten, die uns sehr freundlich aufgenommen hatten, hatte ich zunächst keinen direkten Kontakt zu Deutschen. Ich konnte ja Deutsch sprechen, lesen und schreiben aber nicht.
Waren Sie nicht der Exot in der Schule?
Es wurde nicht viel über meine Geschichte geredet. Zwar wußten manche, daß ich in China gewesen war, aber es wurde nicht thematisiert. Interview: Sven Hansen
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