: Am Ende des Tunnels: Viele Fragezeichen
■ Im Dezember ist Baubeginn für den Wesertunnel / Naturschutzverbände und Grüne in Niedersachsen wollen das Projekt immer noch verhindern / Bauherren machen günstige Kostenprognose und wollen unter einer halben Milliarde Mark bleiben
Es wird ernst. Im November erteilt das Straßenbauamt Oldenburg-Ost den Auftrag für den Bau des Wesertunnels bei Dedesdorf/Rodenkirchen in der Wesermarsch. Ob der Tunnel zu bezahlen ist, ob er tatsächlich gebraucht wird, und was sein Bau unwiederbringlich an Naturflächen zerstört, das sind Fragen, die auch nach dem geplanten Baubeginn im Januar 1998 offen bleiben.
Die Fronten zwischen dem Bauträger, dem Bundesministerium für Verkehr, den regionalen und lokalen PolitikerInnen einerseits, den oppositionellen Grünen und den Naturschutzverbänden andererseits sind verhärtet. Man sieht sich vor Gericht. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU e.V.) und der Naturschutzverein Niedersachsen (NVN) haben Verbandsklage beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg eingelegt. Die Klage fechtet das Verfahren der Bauplanung an und will das gesamte Tunnelprojekt stoppen. Zusätzlich liegen weitere elf Einzelklagen von lokalen Landwirten vor, die ihre Arbeit durch den Bau des Tunnels bedroht sehen und einen Verlust landwirtschaftlich nutzbarer Flächen befürchten. Jetzt haben die Grünen dem Bundestag einen Antrag vorgelegt, der verlangt, das Tunnel-Projekt zu beenden. Der Antrag geht im September in die Ausschüsse.
„Das beeindruckt uns alles nicht“, sagt Joachim Delff vom ausführenden Straßenbaumt Oldenburg-Ost. „Wir haben das Baurecht und werden den Auftrag zum Bau des Tunnels im November vergeben. Die Klagen haben keine aufschiebende Wirkung.“Behält Delff recht, dann werden im Januar zwei über zwei Kilometer lange Röhren unter die Weser geschoben. Schon drei Monate später wird mit dem Bau von 20 Brücken und Straßenanschlüsse begonnen. Offiziell sind 588 Millionen Mark für den Bau veranschlagt. Aber noch liegen widersprüchliche Kalkulationen vor. Während Experten aus dem Bundesverkehrsministerium hinter vorgehaltener Hand von über einer Milliarde Mark Baukosten sprechen, hofft Joachim Delff noch unter 588 Millionen Mark bleiben zu können. „Uns liegen die Ausschreibungen jetzt vor, am Tunnel kann gespart werden“, sagt der Oldenburger Straßenbauer. In jedem Fall muß das Geld von Banken vorgeschossen werden. Im Zeitraum von 18 Jahren will der Bund die Schulden abstottern. Der Bundesrechnungshof hat dieses sogenannte Konzessionsmodel kritisiert.
„Ein Wahnsinn“, empört sich Gila Altmann, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. „Die Kosten sind nicht mehr vernünftig zu kalkulieren. Die Schulden überlassen wir der nächsten Generation.“Auch den Nutzen des Tunnels kann die Grüne nicht einsehen. Sie vermutet, das ganze Projekt sei zu einem reinen Prestigebau für regionale Politiker verkommen. „Die Planer gehen von Prognosen des Verkehrswegeplanes bis 2010 aus. Über 20.000 Pkw täglich sollen dann in der Wesermarsch die Weser queren wollen. Heute sind es gerade mal knapp 5.000 und die Zahlen sinken“, sagt Altmann. Selbst wenn die Prognosen zuträfen, erregt sich die Grüne, müsse man überlegen, ob man die Prognose schicksalshaft hinnehmen wolle oder alternative Maßnahmen einleiten müsse. „Die Wesermarsch darf nicht zu einem Durchrasegebiet für die Küstenautobahn werden. Die regionale Bahn muß ausgebaut werden, ein effektiver, öffentlicher Nahverkehr kommt den Menschen in der Region zugute und der Fährverkehr kann intensiviert werden“, schlägt die Grüne als Alternative zum Tunnel vor.
Auch die Naturschutzverbände fahren schweres Geschütz auf. „Die Bauflächen sind vom Niedersächsischen Landesamt für Ökologie als besonders schützenswerte Naturgebiete gekennzeichnet worden. Nach europäischem Recht des Flora und Fauna Habitats dürfen sie nicht angetastet werden“, sagt Hans-Otto Meyer-Ott vom Naturschutzverein Niedersachsen. Das europäische Recht gelte auch für die Wesermarsch, betont der Naturschützer und verweist auf vier Urteile des Europäischen Gerichtshofes. Dieser habe bei Streitigkeiten über vier Bauvorhaben in ökologisch wertvollen Regionen jedesmal zugunsten der Ökologie entschieden. Die Wesermarsch bei Dedesdorf-Kleinsiel und an der Kleinsieler Plate ist wichtige Brutstätte von Brachvogel, Uferschnepfe und Säbelschnäbler. Außerdem liegen hier Rückzugsgebiete für Küstenvögel und Rastplätze für Zugvögel.
„Es wurde zwar immer behauptet, hier würden durch den Bau des Tunnels Arbeitsplätze geschaffen. Das ist Unfug“, erklärt Meyer-Ott. „Arbeistplätze werden zerstört, nämlich die der Fährschiffer. Die Fähren sind ein profitabler Betrieb mit über zwei Millionen Mark Gewinn im letzten Jahr. Insgesamt werden 100 Arbeitsplätze durch den Tunnels zerstört“, fährt Meyer-Ott fort. Und ob der Tourismus in der Region an der Transitrampe des Tunnels noch eine Chance hat, bezweifelt der Naturschützer: „Wir sind hier schon gebeutelt genug. In Rodenkirchen steht schließlich das Atomkraftwerk, da können wir auf Abgase und Autolärm verzichten.“
Thomas Schumacher
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