"Es könnte noch viel mehr sein"

■ Die Kette der Funde von BSE-verdächtigem Rindfleisch aus Großbritannien wird so schnell nicht abreißen, fürchtet die Vorsitzende des BSE-Kontrollausschusses des Europaparlaments, Dagmar Roth-Behrendt (SPD)

taz: Fast täglich wird irgendwo in Deutschland illegal eingeschmuggeltes britisches Rindfleisch gefunden: mal verarbeitet zu Labskaus, dann wieder als Wurst. Rund 700 Tonnen sind bereits in Deutschland entdeckt worden, 2.300 Tonnen in der EU. Frau Roth-Behrendt, Sie kommen gerade aus dem BSE-Kontrollausschuß des Europaparlaments – wissen Sie, wieviel Fleisch derzeit im Umlauf ist?

Dagmar Roth-Behrendt: Nein. Letzte Woche stand zwar in belgischen Zeitungen, 10.000 Tonnen seien auf den Markt gelangt. Doch ob das wahr ist, weiß niemand. Wir versuchen nun anhand der Zahlungen, die für Exportsubventionen bezahlt worden sind, festzustellen, wieviel ist von wo rausgegangen. Es könnte noch viel mehr sein.

Was sind das für Subventionen?

Wir haben ja das perverse System der Exportsubventionen für Fleisch aus der EU in Drittländer, in die ja auch ein Großteil des Schmuggelfleisches gegangen ist. Das Geld wird gezahlt nach dem Motto: Dann ist es endlich weg vom überlasteten Rindfleischmarkt und hält ihn schön stabil.

Eine schöne Motivation für Schieber.

Das ist organisierte Kriminalität. Die reicht von Großbritannien über Belgien nach Rußland. Mit Stützpunkten überall in der EU. Da sind schon Leute umgebracht worden. Und doch gibt es über diese Fleischmafia immer noch kaum Kenntnisse. Denn eine funktionsfähige europäische Polizei haben wir noch nicht.

Sonst wird Rauschgift geschmuggelt. Wieso lohnt sich das bei Rindfleisch? Sind das die Subventionen allein?

Es gibt Indizien, daß es sich um Fleisch handelt, das selbst in Großbritannien nicht hätte verkauft werden dürfen. Da muß man unterscheiden: Fleisch aus Großbritannien darf nicht aufs Festland. Fleisch von Rindern, die über dreißig Monate alt sind, sogenanntes OTM-Fleisch „over thirty month“, darf selbst in Großbritannien nicht verkauft werden.

Warum nicht?

Studien der Briten haben gezeigt, daß bei Rindern über dreißig Monaten besonders häufig BSE- Fälle auftraten. Solches OTM- Fleisch muß nicht infiziert sein, aber es darf nicht auf den Markt. Wenn die Schieber es fertigbringen, solche Tiere entweder direkt beim Bauern für ein paar Pfund abzunehmen, oder sie holen sie aus den Lagerstätten für OTMs, dann wird das Geschäft höchst lukrativ.

Wo wird da geschlampt?

Es hätte einiges bei der Lagerung des OTM-Fleischs besser gemacht werden können: Man hätte nicht die Tiere gleich schlachten und ausbeinen sollen, sondern die ganzen Kadaver bis zur Beseitigung hängen lassen. Die wären dann schwieriger aus Großbritannien rauszuschaffen. Außerdem müßten diese Kühllager besser kontrolliert werden. Ob da allerdings auch Behördenmitarbeiter mit drinhängen in dem Betrug wie in Belgien, wo gerade zwei Veterinäre suspendiert wurden, kann man noch nicht sagen.

Klar ist auch: Die konservative Regierung hat zwar das Exportverbot für Rindfleisch aufs Festland in nationales Recht umgesetzt, hat es aber versäumt, den Kontrolleuren das Recht zu geben, auch in die Container hineinzugucken. Das hat erst die neue Regierung vor einigen Wochen gemacht.

Also Hoffnung auf Besserung?

Ich mache mir da keine Illusionen: Solange die Mitgliedsländer kein Geld in weitere Kontrolleure investieren und die Exportsubventionen nicht abschaffen, wird sich nichts ändern. Dieser Subventionsirrsinn gehört abgeschafft. Besser gibt man den Bauern direkt das Geld. Außerdem müssen die Mitgliedsländer transparenter ermitteln: Die Betrugseinheit der EU- Kommission UCLAF hat sich gerade im Ausschuß beschwert, daß sie zu spät aus den Ländern informiert wird.

Die Vorwürfe gab es auch von der anderen Seite. So beschwerte sich etwa das Umweltministerium in NRW, zu spät aus Brüssel informiert zu werden. Allerdings seien auch von Hamburgs Staatsanwaltschaft keine Infos gekommen.

Über Hamburg hat sich die Kommission auch beschwert: Die Informationen kamen nur inoffiziell durch einen Zufall heraus. In Frankreich etwa wurde Mitte Juli ein Transport angehalten und die UCLAF erst drei Wochen später informiert, weil die Franzosen glaubten, die können alles besser. Interview: Matthias Urbach