Zur Marktwirtschaft gezwungen

Weil die Arbeitsämter kaum noch ABM-Stellen bewilligen, geht der Sozialbetrieb Atlantis neue Wege: Die Unternehmensgruppe will zunehmend vom Verkauf ihrer Produkte leben  ■ Von Hannes Koch

Atlantis ist tot – es lebe Atlantis. Unter dieser Devise versucht die Kreuzberger Beschäftigungsgesellschaft, einer der größten Arbeitgeber im ärmsten Bezirk der Stadt, den größten Umbruch ihrer 20jährigen Geschichte zu meistern. Sichtbares Zeichen für Veränderung und Neubeginn ist das fast fertiggestellte Haus am Moritzplatz, in das demnächst mehrere Projekte für ökologisches und soziales Wirtschaften einziehen. Mitte Oktober wird das Gebäude offiziell eröffnet.

Eines haben die neuen Atlantis- Projekte – zum Beispiel ein Restaurant mit Partyservice und ein Beratungsbetrieb für Umweltmanagement – gemeinsam: Sie werden sich zunehmend am herrschenden Markt orientieren und sich durch den Verkauf ihrer Produkte zu betriebswirtschaftlich kalkulierten Preisen finanzieren. Die alte gemeinnützige GmbH hingegen mit ihrem Sitz in der Cuvrystraße richtete ihr Augenmerk vor allem auf die Qualifizierung von Arbeitslosen als Voraussetzung für deren spätere Integration in den normalen Arbeitsmarkt. „Dieser Ansatz funktioniert nicht mehr“, sagt Atlantis- Mitarbeiter Günther Kusidlo.

Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend: Die Bundesanstalt für Arbeit kürzt ihre Mittel für ABM-Stellen. Bisher stellten diese Zuschüsse die Hauptfinanzierungsquelle des Kreuzberger Betriebs dar, der früher über 300 ABM-Jobs und 150 weitere Stellen verfügte. Neben die ebenfalls knapper werdenden staatlichen Fördermittel aus Töpfen der Europäischen Union und des Senats müssen andere Einnahmen treten, will die Beschäftigungsgesellschaft weiterexistieren: normale Gewinne vom kapitalistischen Markt.

Während Atlantis ursprünglich von der Eigentümerin GSW am Moritzplatz nur ein paar neue Räume mieten wollte, kommt der bevorstehenden Eröffnung des „ökologischen und sozialen Zentrums“ nun symbolische Bedeutung zu: Aus dem vornehmlich öffentlich finanzierten Sozialbetrieb entwickeln sich Firmen des „3. Sektors“, die zwischen Staat und Markt navigieren. Angesichts der bundesweiten Sparmaßnahmen ziehen viele Sozialprojekte mittlerweile diese Konsequenz.

Der Betrieb „Transatlantis“ – noch ist er in der Gründungsphase – soll vom Moritzplatz aus Kreuzberger Firmen bei der Ökologisierung und Modernisierung ihrer Produktion helfen. Wie kann eine Druckerei ihren Müll reduzieren und damit Geld sparen, wo kann eine Hinterhofschlosserei eine Isolierwand bauen, um die Nachbarschaft nicht durch Lärm zu stören? Der Dienstleistungsbetrieb Transatlantis bietet seinen Kunden Umweltmanagement als Produkt, weil die mittelständischen Unternehmen oft kein Personal freistellen können, um diese Aufgaben selbst zu erledigen.

Ein risikoreicher Transformationsprozeß, beinhaltet das Engagement auf dem Markt doch das Risiko des Konkurses. „Doch das geht in die richtige Richtung“, meint Günther Kusidlo. Schließlich haben ehemals Arbeitslose die Perspektive, ihr Geld wieder überwiegend selbst zu verdienen. Im Falle von Transatlantis ist die Marktnische vorhanden. Trotzdem steht dahin, ob sich die Neugründung zum erfolgreichen Unternehmen entwickelt. Denn auch ihre Finanzierung beruht zum Teil auf ABM-Stellen. Und die Berliner Arbeitsämter bewilligen zur Zeit kaum welche.

Der Spree Gästeservice wird ein Restaurant betreiben, eine Schule mit Essen vorsorgen und Buffets für Partys und andere Feierlichkeiten liefern. Einziehen sollen außerdem der Bildungsträger „Atlantis Akademie“ und eine ökologische Wäscherei, die ihre Energie aus den umweltfreundlichen Solaranlagen auf dem Dach und dem Blockheizkraftwerk im Keller bezieht. Unter den MitarbeiterInnen der Beschäftigungsgesellschaft kursiert nun eine Skizze der zukünftigen Firmenstruktur: Um die Sonne des alten Betriebs kreisen wie Planeten bis zu 20 Projekte, GmbHs und Vereine der „Unternehmensgruppe Atlantis“, die ihre eigenen Marktsegmente bearbeiten und spezielle, noch verbliebene Staatstöpfe anzapfen sollen.

Das Ökozentrum trägt den Namen eines wichtigen, wenngleich heute wenig bekannten Berliners des 18. Jahrhunderts: den von Karl Philipp Moritz, einem kritisch- sprudelnden Geist der Aufklärung, der in einem Gartenhaus zeitweise dort lebte, wo heute Kreuzberg liegt. Nach seinem Hauptwerk, dem Bildungs- und Entwicklungsroman „Anton Reiser“, soll Rio Reiser, verstorbener Sänger der legendären Kapelle „Ton Steine Scherben“, sein Pseudonym gewählt haben. Moritz zu Ehren erhielt der Moritzplatz vermutlich nicht seinen Namen – doch „wir fühlen uns seinen Gedanken verpflichtet“, so Atlantis- Mitarbeiterin Stephanie Pruschansky. In der Akademie im Moritz- Haus sollen kritische DenkerInnen und PraktikerInnen an einen Tisch kommen, um soziale, ökologische und demokratische Utopien ihrer Verwirklichung näher zu bringen.

Der Moritzplatz – vor dem Krieg ein belebtes Zentrum mit zwei Filialen des Kaufhauses Wertheim, heute im wesentlichen ein Kreisverkehr – entwickelt sich mit der Projekteröffnung zu einem Zentrum des ökologischen Wirtschaftens in Kreuzberg. Nördlich des Platzes residieren bereits heute die Atlantis GmbH für Solaranlagen und die Firma Südwind, die Windkrafträder verkauft.