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Diana auf dem Weg zur Heiligen

Wem die Princess of Wales nicht auf Bildern erscheint, der rüstet sich zum Beerdigungsspektakel. Viele Menschen belagern die Westminsterabtei. Und Blair pfeift die Queen zurück  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Shirley Millar hat ihren Claim abgesteckt. Seit Donnerstag früh wohnt die 50jährige am Straßenrand vor dem Königin-Elizabeth- Konferenzzentrum schräg gegenüber der Westminsterabtei. Heute mittag wird man den Sarg von Diana, Prinzessin von Wales, aus dem Eingangsportal tragen, und Shirley hofft auf klare Sicht. Sie hat sich ein schwarzbeiges Kleid angezogen, dazu eine violette Bluse, und beim Friseur war sie auch. Nach zwei Nächten am Rinnstein wird von der Eleganz nicht mehr viel übrig sein. „Das ist mir egal“, sagt sie. Das ist doch das mindeste, das ich für Diana tun kann. Sie hat sich immer für die Underdogs eingesetzt.“

Underdogs wie Raymond Rust, 49. Er sieht schon zerzaust aus, als er sein Lager neben Shirley Millar aufschlägt. Seine Habe hat er in einer grünen Sporttasche dabei. Rust ist obdachlos. „Ob ich in einem Kaufhauseingang schlafe oder vor der Abtei, macht keinen Unterschied“, sagt er. Dann zieht er aus der Tasche einen schwarzen Anzug ein Stück heraus. Heute früh wird er sich umziehen. „Diana hat den Obdachlosen oft geholfen, ich hätte sie gerne mal getroffen.“

Vor dem St.-James-Palast, in dem der Leichnam aufgebahrt ist, geht es ordentlich zu. „Wenn die Briten nicht wissen, was sie als nächstes tun sollen“, schrieb der Guardian, „gehorchen sie ihrem Instinkt und stellen sich an.“ Metallgitter lenken die Schlange der Wartenden, die sich in die Kondolenzliste eintragen wollen, 500 Meter The Mall hinunter. Dann machen die Leute kehrt, es geht 500 Meter zurück, dann eine erneute Wendung, und noch einmal hinunter und wieder zurück.

Erst danach gelangt man in die Marlborough Street, die zum Palast führt. Am Wendepunkt der Schlange schenken Frauen aus zwei Harrods-Lieferwagen Getränke aus — eine der wenigen Erinnerungen daran, daß mit Diana auch Dodi, der Sohn des Harrods- Besitzers Mohammed al Fayed, starb. Der Fahrer des Wagens, ebenfalls getötet, ist von der Presse als Säufer und Angeber zur Unperson erklärt worden.

Diana ist dagegen auf dem besten Weg, zur Heiligen zu werden. In der Warteschlange macht die Nachricht die Runde, daß Dianas Gesicht auf einem Porträtgemälde von Charles I. am Ausgang des St.- James-Palastes erschienen sein soll. Etwa ein Dutzend Menschen haben es gesehen: Bei manchen hatte sie ein rotes Kleid an, andere sahen nur ihr Gesicht, und drei Frauen wollten das Titelfoto der Zeitschrift Vogue erkannt haben. Phil ist skeptisch. Er wartet bereits sechseinhalb Stunden, bald kann er sich selbst überzeugen. Später sagt er, daß über der Schulter von Charles I. tatsächlich ein undeutlicher weißer Fleck zu sehen sei. „Vielleicht spiegelt sich eine Lampe“, sagt er, „wer weiß?“

Der Buckingham-Palast liegt in Sichtweite der Wartenden. Das Ticket Office, ein flacher Holzbau, ist verschämt unter Bäumen im angrenzenden Green Park versteckt. Neun Pfund kostet die Besichtigung der State Apartments, mit dem Geld soll Windsor Castle restauriert werden. Ein Zettel weist darauf hin, daß der Palast bis zum 7. September dicht sei. Kein Wort über den Grund.

Die Menschen sind verärgert über ihre Königin. Auf vielen Blumengebinden wird Kritik an der Monarchin laut. „Die Blumen sind für dich, Diana“, steht auf einem Trauerkranz, „und nur für dich.“ Oder: „Du warst das Juwel in der Krone.“ Auch die Presse hat sich auf Elizabeth eingeschossen. „Reden Sie mit uns, Madame“, titelte der Daily Mirror am Donnerstag. Die Sun fragte: „Wo ist unsere Königin? Wo ist ihre Flagge?“ Auf jedem öffentlichen Gebäude sind die Flaggen auf halbmast gesetzt, nur nicht auf dem Buckingham-Palast. Dort wird nur ein Fahne aufgezogen, wenn die Queen zu Hause ist. Doch sie war bis gestern im Sommersitz auf Balmoral in Schottland. Sie wollte erst heute vor der Trauerfeier eintreffen, hätte sich nicht Tony Blair eingemischt.

Der Premierminister, ein PR- Spezialist ersten Ranges, hat die Stimmung der Bevölkerung besser eingeschätzt als die Monarchin und ihr geraten, eine Ansprache an die Nation zu halten, um das Schlimmste zu verhindern. Und während der Trauerfeier wird die Fahne über dem Buckingham Palace auf halbmast wehen. Royalisten finden es skandalös, daß sich die Königin dem öffentlichen Druck beugen mußte, doch gestern gingen die Medien glimpflicher mit ihr um. Tony Blair wurde von einem Boulevardblatt gar als „Retter der Monarchie“ gefeiert.

Im Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaud steht Blair ganz souverän mit den Händen in den Hosentaschen, ein Mann des Volkes. Rechts von ihm ist das königliche Podest. Als die ersten Risse in der Ehe von Charles und Diana bekannt wurden, drehte man die beiden mit dem Rücken zueinander. Nach der Scheidung wurde Diana aus dem Kreis verbannt und steht nun zehn Meter abseits. Vorigen Sonntag hat man einen Kranz aus weißen Lilien hinzugefügt, dazu die Titelseite einer Boulevardzeitung: „Die Welt weint um Di.“

In Brixton weint niemand. Der Stadtteil ist fünf U-Bahn-Stationen vom Buckingham-Palast entfernt, aber die Stimmung ist nüchterner. Brixton hat immer noch einen hohen karibischen Bevölkerungsanteil, ist aber längst nicht mehr der Stadtteil, der Anfang der Achtziger durch die Krawalle berühmt geworden ist. Die Stadtverwaltung hat viel Geld hineingepumpt.

Am Zeitungsstand vor dem U- Bahn-Eingang fragt der Händler zögernd, ob man auch die Beilage zum Evening Standard wolle: ein Souvenirheft über Diana. „Die meisten interessiert das nicht“, fügt er entschuldigend hinzu. Eine schwarze Kundin nimmt die Beilage, meint jedoch: „Warum regen sich alle so furchtbar über das Foto der sterbenden Diana im Mercedes auf? Warum druckt es niemand ab? Wenn in Afrika Menschen verhungern, elend sterben oder massakriert werden, ist man doch auch nicht so feinfühlig.“

Eine Rentnerin gibt ihr recht. „Überall kann man lesen, daß Diana so normal war, eine Frau wie du und ich“, schimpft sie. „Sie war keine von uns, sie hatte keine Ahnung von unserem Leben. Ihr Wohltätigkeitsklimbim kann mir gestohlen bleiben. Warum hat sie nicht die 17 Millionen Pfund gestiftet, die sie nach der Scheidung kassiert hat? Vor zwei Wochen ist meine Nachbarin gestorben, das geht mir wirklich nahe.“ Nur ein Stück weiter den Brixton Hill hoch, in der Newpark Road, hängt ein Foto von Diana, umrahmt von Trauerflor, im Fenster des „Pets Palace“, des Palasts der Haustiere. Darunter dreht ein Hamster seine Runden im Laufrad. Daneben steht ein leeres Aquarium mit einem makabren Spielzeug für Fische: einem künstlichen Totenschädel, durch den sie hindurchschwimmen können.

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