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Stimmung eher pianissimo

■ Die Filmfestspiele in Venedig enden mit dem kleinsten Übel

Zum erstenmal auf einem internationalen Festival war die Jury paritätisch besetzt: vier Frauen, vier Männer, und unter den acht fünf renommierte Regisseurinnen und Regisseure, Jane Campion aus Neuseeland, die Französin Véra Belmont, Nana Dschordschadse aus Georgien, Idrissa Ouédraogo aus Burkina Faso und der Italiener Francesco Rosi.

Unter dem Vorsitz von Jane Campion, der Regisseurin vom „Piano“, soll es so piano nicht zugegangen sein bei den Sitzungen. Aber einigen mußte man sich schließlich doch. Daß es dann auch noch der „richtige“ Film war, auf den die acht sich einigten, hat der Jury viel Applaus gebracht – und dem Festival, so schwach es auch gewesen sein mag, die Reputation gerettet.

Es ist mit einem Auge davongekommen, das so blau ist, wie die Adria einst war. Da war es ganz unangebracht, daß Jane Campion im Namen der Jury zu bedauern hatte, nicht genug Preise für so viele gleichwertig gute Filme zur Verfügung gehabt zu haben.

Felice Laudadio, dem neuen Festivalleiter, der neben ihr saß, hat dieses Lob sichtlich gutgetan, kaum jedoch das Buhkonzert, das Campions Gesamtbewertung des Wettbewerbs auslöste.

Immerhin: „Hana-Bi“ (Feuerwerk), der fünfte oder sechste eigene Film des fünfzigjährigen Japaners Takeshi Kitano, der auch als Schauspieler arbeitet, hätte auch bei jedem anderen Festival bestehen können. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß diese melodramatische Story vom knallharten Bullen, der aus Liebe zu seiner sterbenden Frau selbst zum Verbrecher wird, den Goldenen Löwen auch bekommen hat, weil es eine bessere Wahl nicht gegeben hätte am Lido.

„Hana-Bi“ war das filmsprachlich konsequenteste und geschlossenste Werk bei der Mostra internazionale, lakonisch und knapp und äußerst ökonomisch und ohne jeden Schnörkel erzählt – kein Wunder, daß Takeshi Kitano ein Bewunderer der Filme von Robert Bresson ist.

Weniger Zustimmung hat selbst bei den italienischen Kritikern der Beschluß der Jury gefunden, mit dem Großen Spezialpreis, sozusagen dem zweiten Preis des Festivals, die Komödie „Ovosodo“ von Paolo Virzi auszuzeichnen. Diese brave und tadellos komponierte Komödie vom armen, aber hochtalentierten Jungen aus Livorno, der die Liebe und die große Welt kennenlernt, steckt voller witziger Einfälle, die sich auch über Italien hinaus vermitteln, unterscheidet sich aber von vielen ähnlichen Filmen, die seit fast hundert Jahren gemacht werden, allenfalls durch die Modernität und Aktualität der Themen von Mitte der siebziger Jahre an bis in die Gegenwart.

Einen schwarzen Darsteller, den Amerikaner Wesley Snipes, mit der Coppa Volpi für die beste männliche Hauptrolle auszuzeichnen, stellt längst nicht mehr einen Akt politischen Mutes dar, sondern ist in diesem Fall eher einer der Political Correctness. Denn Snipes ist als bürgerlich erfolgreicher, gutsituierter Werbefachmann in dem Film „One Night Stand“ von Mike Figgis genau das, was die Schwarzen Amerikas einen „weißen Neger“ nennen.

Selbst in der Rolle des Familienvaters und Mannes, der sich in eine andere Frau verliebt – kein Wunder, wenn diese andere von Nastassja Kinski gespielt wird –, bleibt Snipes vollkommen korrekt und gradlinig und ohne jede Brechung, was schauspielerisch kaum eine besondere Leistung zu nennen ist.

Ganz anders, zum Glück, bei der jungen Amerikanerin Robin Tunney. Wie sie in „Niagara, Niagara“ von Bob Gosse eine am Tourette-Syndrom leidende Alkoholikerin verkörpert, geht in den wilden Anfällen unwillkürlicher Zuckungen schon über das bloße Spiel hinaus. Immer wieder gelingt es ihr, mimisch und gestisch, den drohenden Verlust der Kontrolle über ihren Körper so glaubwürdig mitzuteilen, daß sich beim Zuschauer eine Art von „suspense“ aufbaut.

Ein halbwegs befriedigendes Ende eines unbefriedigenden Festivals ist das. Der am Lido als Retrospektive angebotene Vergleich mit den Filmen des Programms von 1947 konnte für die Gegenwart nur ungünstig ausfallen. Schon deshalb, weil es 1947, zusammen mit dem ein Jahr zuvor gegründeten Festival international du film von Cannes, nur zwei ebenbürtig miteinander konkurrierende Filmfestivals gab, die sich die Rosinen aus dem weltweiten Angebot picken konnten.

Inzwischen tendiert die Zahl der Filmfestivals in aller Welt nahezu gegen unendlich, der der festivalwerten Filme dagegen keineswegs.

Was heißt, daß ein wirklich großes Festival auch ein großer Glücksfall sein muß. Was heißt, daß der digital geborene, fette goldene Löwe, der vor jedem Venedig-Film über Lagune und Leinwand fliegt, noch so laut brüllen mag. Die Stimmung ist eher pianissimo. Peter W. Jansen

Die Preise in Kürze: Goldener Löwe: „Hana Bi“ von Takeshi Kitano (Japan). Die Coppa Volpi für den besten Hauptdarsteller: Wesley Snipes (USA), der in dem „One Night Stand“ von Mike Figgis an der Seite von Nastassja Kinski spielt. Coppa Volpi für die beste Hauptdarstellerin: Robin Tunney (USA), für ihre Rolle in „Niagara, Niagara“.

Einen Ehrenlöwen bekam der amerikanische Regisseur Stanley Kubrick für sein Lebenswerk. Der Film „Ovosodo“ des Italieners Paolo Virzi bekam den Spezialpreis der Jury.

Bestes Drehbuch: Gilles Taurand und Anne Fontaine für „Nettoyage à sec“ von Anne Fontaine (Frankreich). Beste Fotografie: Emmanuel Machuel für „Ossos“ von Pedro Costa (Portugal). Beste Musik: Graeme Revell („Chinese Box“) von Wayne Wang, Hongkong, China.

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