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Ein Abschied in Stille

Familie Millar hat an der Trauerfeier für Diana teilgenommen – vor allem der Kinder und Enkel wegen. Wer nicht trauert, hält lieber den Mund  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Freiwillig mache er das nicht, sagt Frank Millar am Samstag morgen um 8 Uhr und verstaut im Rucksack ein paar Butterbrote, die seine Frau Kate geschmiert hat. „Es ist wegen der Kinder, damit die später mal erzählen können, daß sie bei Dianas Beerdigung dabeigewesen sind.“ Tommy ist 7, seine Schwester Anne ist 11. Frank, 38, ist groß und dunkelhaarig mit einem gepflegten Bart. Er arbeitet als Lehrer am College in Surbiton, einem Vorort Londons in der Grafschaft Surrey. Er ist konservativ, aber für die Royals hat er sich nie besonders interessiert.

„Kate sammelt alles über Diana“, sagt er. „Ich habe ihre Arbeit für die ganzen Wohltätigkeitsvereine bewundert“, entgegnet Kate, „aber der ganze Personenkult ist an mir vorbeigegangen.“ Sie habe bloß ein Paar Zeitungsartikel aufgehoben und das ein oder andere Buch über Diana gelesen. „Das ist doch kein Personenkult.“

Kate ist zwei Jahre jünger und zwei Köpfe kleiner als Frank. Ihre Arbeit im Büro einer Speditionsfirma hat sie aufgegeben, als Anne geboren wurde. Sie schickt die Kinder noch mal zur Toilette, packt das Radio ein, damit wir über den Stand der Dinge informiert sind, dann geht's los. Die Millars haben sich heute nicht in Schwarz gekleidet, wie so viele, die im Lauf der Woche ihre Blumen vor einem der königlichen Paläste niederlegten. Alle vier tragen Jeans und Sweatshirt.

Zum Bahnhof sind es nur fünf Minuten zu Fuß. Die Eisenbahn hat Sonderzüge eingesetzt, von Gleis 1 fahren sie alle paar Minuten ab. Wir wollen in Vauxhall in die U-Bahn steigen, denn von Waterloo, wo die Eisenbahn Endstation hat, wird man kaum über die Westminster Bridge kommen, vermutet Frank. Auf der anderen Seite liegt die Westminsterabtei, und dort kampieren Tausende schon seit Tagen.

Wir sind spät dran, was ein Vorteil ist, denn die U-Bahn in Vauxhall ist nicht zu voll. Im Radio haben sie angesagt, daß der große Ansturm schon um 4 Uhr morgens begann. Eine Million Menschen sollen die Trauerstrecke säumen, aber wer wollte das schon nachprüfen. Die Medien haben es längst zu einem Begräbnis der Superlative gemacht, und dazu gehört eben eine Zahl mit sechs Nullen. Oder noch mehr: 2,5 Milliarden sollen die Feier im Fernsehen verfolgen, und auch das wird niemand widerlegen können.

Wir steigen an der Station Green Park aus. Wenn man den Park durchquert, kommt man zum Buckingham-Palast. Unterwegs ist ein großes Transparent an einen Zaun gebunden. „Peru ist bei dir“ steht dort neben einem Foto von Diana. Die beiden Männer, die das Plakat am Zaun angebracht haben, sind extra für die Trauerfeier aus Südamerika angereist.

9.08 Uhr, der Sarg verläßt den Kensington-Palast.

„Ausgerechnet eine Lafette“, ärgert sich Kate. „Diana hat sich immer gegen Landminen eingesetzt, und nun wird sie auf einem Kanonentransporter beerdigt. Die Windsors haben sie nie ernst genommen.“ Sie habe ihre Pflicht und Schuldigkeit getan, indem sie „the heir and the spare“ – den Thronfolger und seinen Ersatzmann – produziert habe. „Und danach hat man sie fallenlassen.“

Wir stehen am Rand des Green Park schräg gegenüber vom Buckingham-Palast. The Mall, die vom Palast nach Charing Cross, dem Mittelpunkt Londons, führt, ist dicht gesäumt mit Menschen. Auch in der Seitenstraße neben Buckingham, durch die der Trauerzug vom Hyde Park kommen soll, stehen Menschen dichtgedrängt. Warum machen die das? „Vielleicht ist es die Ahnung, einem historischen Ereignis beizuwohnen“, meint Frank. „Einige haben ihr Leben vielleicht auch nur durch Diana gelebt. Man glaubte fast, sie persönlich zu kennen, weil sie sich eben auch um normale Menschen kümmerte und ihnen das Gefühl gab, genausoviel wert zu sein wie die Royals.“ Das erklärt aber kaum das weltweite Interesse und den Mythos, den Dianas Tod vor acht Tagen ausgelöst hat und der sich durch alle Altersklassen und sozialen Schichten zieht.

Dann endlich, um zwanzig nach zehn, tauchen in der Entfernung die Hüte der Reiter auf, deren Pferde die Lafette ziehen. Tommy muß auf die Toilette. Frank rennt mit ihm zu einem der transportablen Klohäuschen, die überall in der Innenstadt aufgestellt worden sind. Als die beiden zurückkommen, fährt der Sarg gerade vorbei. Über die Köpfe der Schaulustigen hinweg sieht man nur die drei Kränze auf dem Sarg. Ein paar Jugendliche sind auf Bäume geklettert, andere haben sich Klappleitern mitgebracht. Frank nimmt Tommy auf die Schultern. „Die Queen ist da“, ruft er, „sie steht vor dem Palast!“

Wir versuchen, zum Hyde Park zu gelangen. Das wollen nun alle, denn dort sind zwei Videowände aufgestellt, auf denen die Trauerfeier aus der Westminsterabtei übertragen wird. Fünfzigtausend Menschen sitzen im Park, viele haben seit zwei Tagen dort gezeltet. Ganz hinten ist noch Platz, die Bildschirme sind auf die Entfernung nicht größer als Briefmarken.

11.10 Uhr, die Trauerfeier in der Westminsterabtei beginnt.

Am Buckingham-Palast wird die Fahne auf Halbmast gesetzt, die Menschen im Hyde Park applaudieren. Es ist ein ironischer Applaus, das merkt man an den Zwischenrufen: „Na, Ma'am, das hat doch nicht weh getan, oder?“ Das Königshaus ist in dieser Woche nicht gut weggekommen, jedenfalls nicht bei den Diana-Fans. Manche Kommentatoren vermuten gar, daß Dianas Tod das Ende der Monarchie eingeleitet habe, falls sie nicht Dianas Stil übernimmt und volksnäher wird. „Das schafft Elizabeth nicht“, glaubt Frank. „Sie ist so erzogen worden, und Charles ist es auch. Kannst du dir vorstellen, daß er kranke Kinder küßt oder Aids-Patienten umarmt? Ich auch nicht.“

Der Verfassungsrechtler Walter Bagehot hat einmal geschrieben, daß die Mystik, die Entrücktheit vom normalen Leben, unerläßliche Voraussetzung für das Fortbestehen der Monarchie ist. Heute, am Tag von Dianas Beerdigung, sind die Menschen mit der aufs Protokoll pochenden Monarchin jedoch nicht einverstanden. Als Graf Spencer, Dianas Bruder, der Trauergemeinde sagt, seine Schwester „brauchte keinen königlichen Titel, um ihre besondere Art des Zaubers zu verbreiten“, da erhält er von den Menschen im Hyde Park Szenenapplaus. Und dann noch ein Seitenhieb auf die Windsors: Er und seine Schwestern – „die Blutsverwandten“ – werden dafür sorgen, daß Dianas Söhne „nicht von Pflichten und Traditionen aufgesogen“ werden. „Vor dreihundert Jahren wäre er dafür geköpft worden“, sagt Kate.

Dann nimmt Spencer noch mal die Paparazzi aufs Korn: Ausgerechnet Diana, sagt er, die nach der Jagdgöttin benannt ist, wurde zur meistgejagten Frau der Welt. Wieder gibt es Applaus, und die Hälfte der Zuschauer zückt Kameras, um den Augenblick festzuhalten. „Heuchler“, flüstert Kate. „Morgen sind sie wieder alle gierig auf die Fotos in den Zeitungen.“

Es ist gefährlich in diesen Tagen, eine abweichende Meinung zu äußern. Tony Blair hat Dianas Tod zu einem Ereignis erklärt, das die Nation vereine. „Der Mann ist ein PR-Genie“, sagt Frank entrüstet, „er spielt sich als Vater der Nation auf. New Labour, New Grief (Trauer). Stell dir mal vor, Diana wäre vor fünf Monaten gestorben, kurz vor den Wahlen, und John Major hätte die Trauerrede gehalten. Vielleicht wäre alles anders gekommen.“ Kate glaubt das nicht: „So blöd sind die Wähler nicht.“

Der Guardian hat festgestellt, daß Großbritannien tief gespalten ist: in Trauernde und Nichttrauernde. Letztere hielten jedoch ihren Mund, weil das angesichts der Massenhysterie das sicherste sei. Das stimmt wohl: Als im Hyde Park während der Trauerfeier ein Baby schreit, wird die Mutter von Umstehenden zurechtgewiesen. Die Stille ist das Auffallendste an diesem Tag. Wie können so viele Menschen so leise sein?

Auch in der Presse gibt es kaum Abweichler. Eine Ausnahme ist Euan Ferguson. Er schrieb, würde man verrückte Aspekte wie die Diana-Visionen ernst nehmen, dann könne man gleich „ins Zeitalter vor der Aufklärung zurückkehren, ein paar Hexen verbrennen, ein paar Beulen aufstechen, und das war's dann“. Er lasse sich nicht vorschreiben, was er zu denken habe – „weder durch die unablässige Bombardierung banaler Trauerreden noch durch die absurde Umdichtung hymnischer Lieder oder das Gebell der Meute“.

Dann singt Elton John die Umdichtung seiner eigentlich Marilyn Monroe gewidmeten Hymne „Candle In The Wind“. Einige brechen in hemmungsloses Schluchzen aus, eine junge Frau neben uns kann sich gar nicht mehr beruhigen. Anne dreht sich um und tippt sich verstohlen an die Stirn. Tommy will nach Hause, er hat genug von dem Ausflug in die Stadt. „Hier ist ja nicht mal eine Imbißbude“, jammert er, gibt sich dann aber mit dem mitgebrachten Butterbrot zufrieden.

12.07 Uhr, der Sarg wird aus der Abtei getragen und in den Leichenwagen geschoben.

Jetzt kommt Bewegung in die Menge im Hyde Park. Jeder will noch mal einen Blick von dem schwarzen Auto erhaschen. Wir laufen zur Hyde Park Corner, kurz darauf fährt der Wagen vorbei, vorneweg Polizei auf Motorrädern. „War sie das?“ fragt Tommy enttäuscht. „Das war sie“, sagt Frank. „Jetzt fahren sie auf die Autobahn nach Northamptonshire, und heute abend wird sie dort auf einer kleinen Insel begraben. Wie eine Märchenprinzessin.“ Und das war sie posthum ja auch, sagt Kate und fügt hinzu. „Man wird Dodi und Di in allen Ecken dieser Welt sehen, in einer Woche, in einem Jahr und wohl noch in zehn Jahren. Wie um Elvis, so wird es auch einen Kult um Diana geben.“ Spekulationen zirkulieren bereits, die beiden hätten den Unfall nur vorgetäuscht und lebten nun ungestört von Paparazzi in Südamerika.

Zu Hause in Surbiton resümiert Frank: „Gesehen haben wir kaum etwas. Doch wenigstens können wir später sagen, daß wir dabeigewesen sind. Aber wird das unsere Enkelkinder interessieren?“

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