Tatjana zwischen Vater und Präsident

Boris Jelzins Tochter ist ganz offiziell auch seine Beraterin. Natürlich tut sie mehr, als seine Krawatten zurechtzurücken. Sie ist sein Sensor für die Stimmung in der Bevölkerung  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Zu jedem Monatsanfang wird von zahlreichen Insidern und Experten für die Tageszeitung Nesawisimaja Gaseta eine Rangliste der einflußreichsten Politiker Rußlands erstellt. Darauf kletterte Tatjana Djatschenko (38) auf Platz 7. Dabei bekannte sie sich kürzlich zu gewissen Schwierigkeiten: „Ich schaffe es nicht immer“, sagte sie, „den Papa und den Präsidenten auseinanderzuhalten.“

Noch schwerer fallen dürfte dies der jüngeren der beiden Töchter des russischen Präsidenten Boris Jelzin, seit sie Ende Juni auch offiziell zu dem ernannt wurde, was sie längst ist: „Beraterin für das Image des Präsidenten“. Tanja, wie sie von jedermann genannt wird, selbst Mutter des 17jährigen Boris und des zweijährigen Gleb, erklärte, im neuen Amt nur für „Kleinigkeiten“ zuständig zu sein: „Mir fällt es leichter als anderen, Papa mal die Krawatte zu richten.“ Ihr neuer Rang, so Tatjana, werde eigentlich nur gewisse Dinge ins Lot bringen. Niemand könne nun mehr fragen, mit welchem Recht sie bei Auslandsreisen auf Kosten der Steuerzahler in der russischen Präsidentenmaschine mitfliege.

Als Boris Jelzin, Vater von Tatjana und ihrer zwei Jahre älteren Schwester, noch Gebietsparteichef von Swerdlowsk (heute Jekaterinburg) war, lehnte er jegliche Vetternwirtschaft vehement ab. Erst die Protektion des im Volke unbeliebten Vizepremiers Anatoli Tschubais soll der „jüngeren Tochter zu Einfluß und Würden verholfen haben“, munkelt der Volksmund.

Seit die beiden im Stab des Präsidentschaftswahlkampfes im Frühsommer 1996 Seite an Seite operierten, dichtete die Moskauer Boulevardpresse ihnen ein Verhältnis an. Informierte Kreise meinen, daß von einer Hörigkeit Tatjanas gegenüber Tschubais nicht die Rede sein könne. Vielmehr sei sie es gewesen, die Anfang 1996 dem damals bei Jelzin in Ungnade gefallenen Wirtschaftspolitiker die Leitung des Stabes antrug – aus Sorge um die Zukunft von Land und Vater.

Ehemalige Kollegen erinnern sich an Tanja als „guten Kumpel, graumäusig, aber charmant“. Die junge Frau aus dem Ural studierte 1977 bis 1983 Mathematik und Kybernetik an der Moskauer Lomonossow-Universität. Noch während des Studiums wurde ihr Sohn Boris geboren, der den Familiennamen Jelzin trägt. Bis 1994 berechnete Tanja in einer wissenschaflichen Einrichtung namens „Saljut“ Raketenbahnen.

Auch nachdem ihr Vater 1985 Parteichef von Moskau geworden war, brachte sie sich dorthin Pellkartoffeln und Hering als Imbiß mit. Berufstätig blieb sie noch Jahre nach ihrer Eheschließung mit dem Geschäftsmann Leonid Djatschenko. Über dessen Tätigkeit wurde zuletzt 1994 bekannt, daß er in Jekaterinburg einem Joint-venture namens „Interural“ angehörte.

Die Firma widmete sich dem Export von seltenen Metallen, Erdölprodukten, Erz und Kupfer, allem, was die russische Opposition als „Verhökerung der Reichtümer der Nation“ bezeichnet. In der einträglichen Firma saßen auch einige Nomenklatura-Sprößlinge, zum Beispiel Swetlana Rossel, die Tochter des heutigen Gouverneurs von Jekaterinburg. Patzig antwortete Tatjana, als sie kürzlich nach ihrem Mann gefragt wurde: „Er beschäftigt sich mit Holzverarbeitung... Von seinem Geschäft verstehe ich nichts.“

Tanja ist es offensichtlich peinlich, daß sich die Lebensführung des engeren Jelzin- Clans inzwischen weit von dem puritanischen Ideal entfernt hat, das ihr Vater noch in Jekaterinburg predigte. Da bleibt die Frage: Wer bezahlt Tanjas aufgewecktem Ältesten das Studium in dem englischen Internat Millfield, wenn nicht sein Stiefvater Djatschenko? Die Jahresgebühren betragen dort 22.500 Dollar. Neben Tanjas Boris büffelt dort übrigens der Sohn des stellvertretenden Vizepremiers Anatoli Tschubais.

Schon 1989, zur Zeit der tiefsten Demütigung des späteren Präsidenten, nachdem Jelzin von Gorbatschow als Moskauer Parteichef entlassen worden war, stand Tatjana als Aktivistin an der Seite ihres Vaters. Damals noch von mädchenhaftem Äußeren, empfing sie uns, wenige ausgewählte Journalisten, in der Jelzinschen Wohnung und überraschte durch nüchternes und humorvolles politisches Urteil. Mit ihren schrägen Augen wirkte sie bisweilen wie ein weiblicher Politkobold.

Als Frau im patriarchalischen Rußland mußte Tatjana taktvoll ins Licht der Öffentlichkeit schreiten. Als im letzten Herbst bei einem Busunglück fast alle schulpflichtigen Kinder aus einem kleinen Weiler in Südrußland starben, fühlte sich die Nation vaterlos. Präsident Jelzin war zur Vorbereitung auf seine Herzoperation von der Bühne des wirtschaftlich heruntergekommenen Landes verschwunden.

Bilder von weinenden Elternpaaren, die ihre toten Kinder in abgeschabten Koffern heimschleppten, stürzten das fernsehende Volk in Trostlosigkeit. Niemand kritisierte die Geste Tatjanas, die als einzige Abgesandte des Kreml am nächsten Tage im Unglücksdorf landete – im kurzärmligen Pullover, als habe sie gerade den Staubsauger stehenlassen.

Natürlich bügelt sie für ihren Vater mehr aus als nur die Krawatten. Nachdem er dem Tod von der Schippe gesprungen ist, muß der Präsident der Russischen Föderation sein Image vor der Historie retten und die Reformen durch soziale Maßnahmen für die breiten Massen abfedern. Seine Tochter ist für ihn zum einzig vertrauenswürdigen Kanal geworden, über den er erfährt, wie seine Maßnahmen ankommen.

Jeder glaubt heute Tatjana Djatschenkos Versicherung, sie handle ohne persönlichen Ehrgeiz. Aber wie die Moskauer Tageszeitung Kommersant schrieb: „Nachdem sie ihr offizielles Büro im Kreml bekommen hat, könnte ihr politischer Appetit wachsen. Und eines Tages läßt sich das Ausmaß ihres ,Einflusses‘ vielleicht nicht mehr an den Stunden bemessen, die sie an der Seite des Präsidenten verbringt.“