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■ Bei der Trauer um Prinzessin Diana nahm Großbritanniens Premier Tony Blair der Queen die Zügel aus der Hand. So wurde er zum wirklichen Oberhaupt des Landes - und kann nun das politische System nach seinen Vorstellungen umbauen.Tony Blai

Bei der Trauer um Prinzessin Diana nahm Großbritanniens Premier Tony Blair der Queen die Zügel aus der Hand. So wurde er zum wirklichen Oberhaupt des Landes – und kann nun das politische System nach seinen Vorstellungen umbauen.

Tony Blair wird König

An grandiosen Vergleichen mangelt es nicht. Die Massenaufläufe in London zur Trauer um Prinzessin Diana erinnerten manche Kommentatoren an den Tiananmen-Platz in Peking 1989, andere an das Ende der DDR. Aus Untertanen seien Bürger geworden, fand der Führer der Liberalen, Paddy Ashdown; die Trauerbewegung sei eine Demokratiebewegung, schrieb der linke Publizist Anthony Barnett und wies darauf hin, daß die Menschen ja nicht nur Blumen an die Paläste trugen, sondern auch Briefe voller Kritik. Eine Art Revolutionsstimmung liege in der Luft, bemerkten andere Beobachter; der Volkszorn angesichts des leeren Flaggenmastes über dem Buckingham-Palast gerate zu einer britischen Version von „Wir sind das Volk“.

Von „People's Power“ war die Rede. Diana wurde zur „People's Princess“. In jenen kritischen Stunden am Freitag, bevor die Queen auf den öffentlichen Druck hin vor die TV-Kameras trat, donnerte sogar der erzkonservative Daily Express: „Früher sagte die Königsfamilie uns, was wir tun sollten – jetzt sagen wir es ihnen.“ Die Beerdigung war denn auch weniger Trauerfeier als Volksfest. „Die Nation vereint sich gegen die Tradition“, titelte der linke Observer, und der rechte Sunday Telegraph sprach von einem „sehr britischen Putsch“: der Sieg der Öffentlichkeit über den Souverän.

Natürlich hat es in Großbritannien in den letzten zehn Tagen keine Revolution gegeben. Aber etwas ist anders geworden. Der monarchische Zauber ist bis auf weiteres mit Diana zu Grabe getragen worden. Und nicht die völlig überforderten Windsors führten bei der Bewältigung der öffentlichen Trauer Regie, sondern Premierminister Tony Blair. Für ihn waren diese Tage eine Art Feuertaufe, in der er zum unangefochtenen Oberhaupt über die britische Politik aufstieg.

Es waren ja schließlich die völlig verzweifelten Protokollanten des Buckingham-Palastes, die vergangene Woche bei Blairs Amtssitz in 10 Downing Street anriefen und um Amtshilfe baten. Der Chef von Blairs Presseabteilung, Alistair Campbell, nahm daraufhin die Sache in die Hand: Er organisierte die öffentliche Selbstkasteiung der Königin und die Verwandlung der Trauerfeier in ein Volksereignis.

Als ehemaliger Politikchef der Boulevardzeitung Daily Mirror wußte Campbell besser als die Politiker, wie den von den Medien zum Ausdruck gebrachten öffentlichen Emotionen begegnet werden sollte. Von Campbell kam auch der Begriff der „Volksprinzessin“, der Diana sozusagen zum monarchischen Gegenstück zur „People's Party“ – also zu Labour – machte. Und man darf spekulieren, wieso Elton John Diana in Anlehnung an das Parteisymbol zur „englischen Rose“ stilisierte.

„New Labour, New Britain“ hatte Tony Blair versprochen, als er 1994 die Führung seiner Partei übernahm: erst die Modernisierung von Labour, dann die des ganzen Landes. Ein „junges Land“ wolle er schaffen, sagt Blair immer wieder. Sein Manifest zu den Wahlen am 1. Mai trug den Titel: „Großbritannien verdient etwas Besseres“. Einen Tag nach der Trauerfeier definierte Blair Dianas Vermächtnis als Wunsch nach einem „besseren Großbritannien“. Die Verschmelzung von Prinzessin und Parteiprogramm war komplett. Angefangen mit dem veränderten Gewicht der Monarchie, zimmert sich Blair in aller Ruhe sein „New Britain“ zusammen – und zwar genauso unerbittlich, wie es dem jetzt endlich geäußerten, ungeahnt tiefen öffentlichen Bedürfnis nach Erneuerung entspricht. Natürlich hat nicht erst Dianas Tod ihn dazu gebracht. Der Herbst 1997 war vorgemerkt als Saison des Wandels. Einen „Modellstaat“ wolle er aus Großbritannien machen, versprach der Premier bereits am 31. August in seinem ersten großen Zeitungsinterview nach der Sommerpause und griff zum Schlagwort der „permanenten Revolution“.

Diese Woche soll Schottland – wenn das schottische Volk es will – sein Regionalparlament bekommen; nächste Woche Wales. Beide werden selbstverständlich von Labour beherrscht sein. Anfang Oktober steht der Labour-Parteitag an, wo Blair weitere innerparteiliche Strukturänderungen plant. Ein „Weißbuch für bessere Regierung“ ist in Arbeit, das Anfang 1998 fertig sein soll und Labours „Vision des Regierens in fünfzehn Jahren“ darlegen wird. Als Kernpunkte werden „saubere Politik“ und „dem Volk zuhören“ genannt. Anfang September sammelten Regierungsbeamte dafür Inspiration ausgerechnet in den autoritär regierten Staaten Malaysia und Singapur, die nach Meinung von Staatssekretär Peter Kilfoyle aufgrund der Computerisierung ihrer Verwaltungen „an vorderster Front“ der Modernisierung des öffentlichen Dienstes stehen.

Der Regierungsstil, der sich dahinter verbirgt, besteht aus straffer Zentralisierung und dem direkten Draht von Downing Street zum immer wieder beschworenen „Volk“. Innerhalb von Labour häufen sich die Klagen, daß alle wichtigen Entscheidungen in Blairs Beraterteam gefällt werden und die Kabinettsminister sie lediglich absegnen können. Bereits vor dem Sommer reduzierte Blair die Unterhaus-Fragestunden an den Premierminister von zwei auf eine pro Woche. Ohnehin ist aufgrund der immensen Labour- Mehrheit im Unterhaus die Spannung aus dem parlamentarischen Geschäft verschwunden. Im Oberhaus will Blair das Gewicht der vom Staat ernannten Mitglieder gegenüber den ererbten Lord-Sitzen stärken, was die Abhängigkeit der Kammer von der Regierung erhöht.

Zwar steht die Monarchie nicht zur Disposition, wohl aber das ganze jahrhundertealte komplizierte Verfassungsarrangement, das nach der Einführung der konstitutionellen Monarchie 1689 und der Vereinigung von England und Schottland 1707 entstand: Einheitsstaat mit Vorrang des Parlaments gegenüber dem Monarchen. Im Entstehen ist ein für Großbritannien neuartiges Präsidialsystem, in dem mehr Macht als je zuvor in den Händen des Premierministers konzentriert ist und dieser unabhängiger als bisher von Partei und Parlament agieren kann.

Nichts verkörpert diese Entwicklung besser als die Art, wie der Blair-Apparat die Emotionen der um Diana trauernden Massen auffängt. Blair habe „in ganz einzigartiger Weise als Kanal“ für die Ansichten des Volkes gedient, lobte Liberalenchef Ashdown. Er hätte hinzufügen können: Selten waren die Ansichten des Volkes ein so einzigartiger Kanal für die Realisierung der Ziele eines Premierministers. Dominic Johnson

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