: Nicht nur wegen der Himbeerrolle
So richtig gut finden viele SeniorInnen die SPD und die CDU nicht. Gewählt werden die Parteien trotzdem, denn „man sollte Unmut nicht durch Enthaltungen ausdrücken“ ■ Von Judith Weber
Gabelzinken drücken Mandelsplitter in altrosa Himbeersahne. vermanschen Kuchenkrümel zu einer Mischung, die weder mandelgelb noch himbeerrot ist, sondern irgendwie gesprenkelt. Daneben dampft schwarzer Kaffee. „Die Schwarzen“, sagt die Kaffeetrinkerin, „habe ich eigentlich immer gewählt. Aber diesmal bin ich mir nicht sicher.“Deshalb hört sie „die Roten“an, beim SeniorInnen-Treffen der IG Chemie im Marmstorfer Gasthaus „Schützenhof“.
Rund 100 RentnerInnen sind gekommen, um über die Bürgerschaftswahl zu reden. Am Mikrofon erklärt die Vize-Vorsitzende der SPD, Petra Brinkmann, was ihre Partei für Hamburg im allgemeinen und für SeniorInnen im besonderen tut.
Letzteres interessiert die Anwesenden wenig. Statt dessen prasseln Fragen auf die Sozialdemokratin. Warum „die Weißrussen immer die schönsten Wohnungen kriegen“, will eine Frau wissen, und warum es um Innere Sicherheit schlecht bestellt sei. Weshalb baut die SAGA Sozialwohnungs-Ghettos, in die niemand ziehen mag?
„Es reicht eben nicht, nur Politik für die Älteren zu machen“, erklärt Manfred Güllner, Geschäftsführer des Berliner Forsa-Instituts, dazu gegenüber der taz. „Darum haben kleine Seniorenparteien wie die Grauen Panther wenig Chancen.“
Die SPDlerin Petra Brinkmann bleibt ruhig, bis ein Mann im schwarzen Anzug die Todesstrafe für Schwerverbrecher fordert; bis einige applaudieren und andere nicken. „Ich bin erschrocken, daß solche Gedanken wieder möglich sind“, kontert die Sozialdemokratin. Appläuschen.
Viele der Frauen und Männer haben seit dem Zweiten Weltkrieg oder länger die SPD gewählt. „Da ist Hamburg ein Sonderfall“, sagt Forsa-Chef Güllner. „Eigentlich haben Menschen über 60 deutliche Präferenzen für die CDU.“Für die Grünen entscheide sich kaum jemand. Eine Generationsfrage, vermutet GAL-Pressesprecherin Kerstin Domscheid. Auf lange Sicht werde die Zustimmung wachsen, denn „wer jetzt über 60 ist, gehört nicht zur 68er Bewegung“.
Die meisten SeniorInnen halten lange an einer Partei fest, hat das Forsa-Institut herausgefunden. „Ich muß ja an meine Enkel denken“, bestätigt in Marmstorf der Rentner Daniel Rudolph. Er stimme seit Jahrzehnten für die Sozialdemokraten.
Doch die Loyalität bröckelt. „Ich weiß diesmal nicht, wen ich wählen soll“, zweifeln viele SeniorInnen. Nur wegen Kaffee und Himbeerrolle ist daher kaum jemand zum Treffen mit der SPD-Abgeordneten gekommen. „Ich möchte mich umorientieren“, sagt eine CDU-Wählerin, derweil drei Plätze weiter ein Mann der SPD mit Stimmentzug droht. Wähler, wechsel Dich? Zumindest nicht zu Gunsten der Radikalen, betont ein Jürgen Billig aus Sandbek. „Es geht nur um SPD, CDU oder die Statt Partei.“
Parteienfrust hin, Unentschlossenheit her: Zur Wahl gehen die meisten SeniorInnen dennoch. „Man sollte seinem Unmut nicht durch Enthaltungen Luft machen“, sagt ein Mann. „Und ich habe ja noch zehn Tage Zeit, mich für eine Partei zu entscheiden.“
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