piwik no script img

Haft für Schüsse vom Balkon

■ Landgericht verurteilte 53jährigen Mann zu dreieinhalb Jahren Gefängnis, weil er im Vollrausch mit scharfer Waffe auf spielende Jugendliche geschossen hatte

Ein 53jähriger Maurer, der von seinem Balkon auf spielende Jugendliche geschossen hatte, ist gestern zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Der Schuldspruch am Landgericht erging wegen vorsätzlichen Vollrausches und unerlaubten Waffenbesitzes. Auch der Staatsanwalt war in seinem Plädoyer vom ursprünglichen Vorwurfs des versuchten Totschlags abgerückt, weil das Blut des Angeklagten zur Tatzeit 3,5 Promille Alkohol enthielt.

Der Angeklagte Stefan S. hatte erklärt, sich an nichts erinnern zu können, weil er aufgrund eines starken Alkholkonsums am Tattag im März dieses Jahres ein „Blackout“ gehabt habe. Er räumte lediglich ein, daß er sich durch die in der verkehrsberuhigten Waldstraße in Moabit streetballspielenden Kinder häufig gestört gefühlt habe. Die Jugendlichen berichteten als Zeugen, daß sie von einem Balkon eines 50 Meter entfernten Wohnhauses bedroht worden waren: „Scheiß Ausländer, seid gefälligst ruhig, ich bringe euch alle um.“ Dann seien sie erst mit einer Schreckschußpistole und dann mit einer scharfen Waffe beschossen worden. „Du kannst bald ohne Beine rumlaufen. Der nächste Schuß trifft“, habe die aus dem Dunklen kommende Stimme gebrüllt, bevor eine Patrone zwei Meter neben dem 16jährigen Sandro eingeschlagen sei. „Wenn ich stehengeblieben wäre, hätte er mich getroffen“, sagte Sandro als Zeuge.

Aufgrund der genau in Richtung der Jugendlichen gezielten Schüsse und des „umsichtigen und abgestuften Handelns“ des Angeklagten, danach die Waffe hinter seinem Gasherd zu verstecken, sprach das Gericht von einem Grenzfall des Vorliegens eines Vollrausches. Es schloß sich damit dem Gerichtsmediziner an. Die betroffenen Jugendlichen und ein Mitarbeiter des Treffpunkts Waldstraße bewegte nach dem Urteil vor allem eines: Ob der Angeklagte ein Rechtsradikaler ist und in der Nachbarschaft Unterstützung findet. Trotz entsprechender Zusicherung von Vertretern der Polizei bei einem Gespräch mit den besorgten Jugendlichen sechs Wochen nach dem Vorfall im Treffpunkt Waldstraße sei dies nie geklärt worden.

Neben diverser nicht scharfer Waffen war bei dem wegen Waffenbesitzes vorbestraften Stefan S. auch ein Hakenkreuz gefunden worden. Ob es deshalb Ermittlungen gab, vermochte der Staatsanwalt gestern auf Nachfrage nicht zu sagen. Auch im Prozeß wurden keine entsprechenden Fragen gestellt. Plutonia Plarre

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen