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Marihuana rauchen für die Gesundheit

■ Ein Drogenfahnder aus San Francisco klagte gegen das Verbot von Cannabis, weil herkömmliche Mittel dem Aidskranken nicht halfen

In den USA tobt derzeit der Meinungskampf um den medizinischen Nutzen von Marihuana. Ende Juni veröffentlichte das „Journal of Science“ eine Studie, in der anhand von Tierversuchen nachgewiesen wurde, daß Cannabis die Chemie des Gehirns in gleicher Weise verändere wie harte Drogen.

Sechs Wochen später kam dagegen eine Studiengruppe des National Instituts of Health (NIH) zu dem Ergebnis, daß das Rauchen von Marihuana in einer Reihe von Fällen heilend wirke. Die Wissenschaftler fordern systematische Untersuchungen über die therapeutische Wirkung von Cannabis.

Anfang September trat schließlich mit der Federation of American Scientists eine Gruppe von 34 Wissenschaftlern an die Öffentlichkeit, die zwischen den polarisierten Fronten zu vermitteln versucht. Oberstes Gebot der Drogenpolitik sollten nicht die Absichten, sondern vielmehr konkrete Erfolge sein.

Die Wähler Kaliforniens und Arizonas hatten bereits im letzten Herbst – gestützt auf praktische Erfahrungen bei der Behandlung solcher Krankheiten wie Star, Krebs und Aids – die Verschreibung von Marihuana bei medizinischer Indikation legalisiert. Das forderte den Widerspruch der Bundesregierung heraus. Den Ärzten Kaliforniens und Arizonas wurde angedroht, daß sie sich strafbar machen würden, sollten sie die neue Verschreibungsfreiheit in Anspruch nehmen. Eine Gruppe von Bürgern, Patienten und Ärzten hat daraufhin im Januar vor einem Bundesgericht in Kalifornien Klage erhoben. Das Gericht gab dem Antrag statt und verbot die Einschüchterung von Ärzten und den Eingriff in das Patienten-Arzt-Verhältnis.

Keith Vines, der sich als Staatsanwalt bei der Verfolgung von Drogendealern einen Namen gemacht hat, war einer der Kläger. Vines ist seit 1983 HIV-positiv. Er verlor rapide an Körpergewicht. Legale Arzneien brachten keine Besserung, während einige Züge aus einem Joint seinen Appetit steigerten und zu einer Gewichtszunahme führten. Die taz sprach mit Vines.

taz: Mr. Vines, sind Sie begeistert vom Bericht des National Instituts of Health?

Keith Vines: Ich bin zunächst natürlich ermutigt. Als letztes Jahr die Wähler Kaliforniens die Proposition 215 verabschiedeten, wonach Marihuana bei medizinischer Indikation verschrieben werden darf, hat die Bundesregierung einen aggressiven Kurs gegen Ärzte eingeschlagen.

Aber doch nicht lange?

Erst nachdem wir vor einem Gericht gegen die Bundesregierung obsiegten, hat sie ihre Position abgeschwächt. Jetzt vertritt sie den Standpunkt, Ärzte könnten mit ihren Patienten über den Gebrauch von Marihuana zwar diskutierten, sollten die Droge aber nicht verschreiben. Das ist ein Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der freien Meinungsäußerung und ein Eingriff in das Verhältnis zwischen Arzt und Patient.

Die Studiengruppe des NIH fordert weitere und systematische Untersuchungen über den therapeutischen Wert von Marihuana.

Hier kann die Regierung beweisen, ob sie wirklich meint, was ihr Drogenbeauftragter, General a. D. Barry McCaffrey, sagt, daß die Frage der Verschreibung von Marihuana für die Clinton-Regierung immer eine wissenschaftliche und medizinische und keine politische Frage gewesen sei. Wir werden ja sehen, ob die Clinton-Regierung die Mittel für derartige Untersuchungen bereitstellen wird.

Wären Sie auch für eine weitergehende Liberalisierung von Drogen wie Marihuana?

Meine Position ist ganz klar: Ich befürworte den Einsatz von Marihuana in einigen eng umschriebenen Fällen wie dem meinen. Ich verdanke dieser Droge, daß ich heute hier an meinem Schreibtisch sitzen und weiterhin für die Gesellschaft nützliche Arbeit verrichten kann.

Sie haben als Staatsanwalt einen der größten Dealer San Franciscos hinter Gitter gebracht. Sind Sie vom Saulus zum Paulus geworden?

Ich sehe überhaupt keinen Konflikt zwischen meiner Tätigkeit als Staatsanwalt und meiner therapeutischen Einnahme von Marihuana. Dieser Dealer hatte, als wir ihn festnahmen, 400 Pfund Marihuana in seiner Küche. Seine Wohnung war Umschlagplatz für Drogen und Waffen. In der Wohnung lebten Kinder, die jeder Zeit Zugang zu den Drogen und Waffen hatten.

Haben Sie ihn nun wegen des Marihuanas oder wegen der Waffen hinter Gitter gebracht?

Mit Marihuana ist das nicht anders als mit Morphium. Auch für diese Droge gibt es eng begrenzte Indikationen. Die berühren unsere Aufgabe, Opiumdealer zu verfolgen, nicht. Mohammed Salman, der Mann, den ich hinter Gitter brachte, hat mich nach seiner Freilassung angerufen. Ich dachte schon, er wolle mir Rache androhen. Er sagte aber, er verstehe mich jetzt und unterstütze meine Position zu Marihuana. Er sieht ein, daß er einen Fehler gemacht hat. Interview:

Peter Tautfest, Washington

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