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Auch Bücher weinen

■ Buchen und binden – alles über Bücher in, um und an der Bremer Universität

Ein Buch ist kein Buch sondern eine Medieneinheit. Zweieinhalb Millionen Medieneinheiten, Bücher, CDs, Disketten und Zeitschriften gibt es im Wirkungsbereich der Uni Bremen. Täglich werden es mehr. Bleiben wir bei den Büchern. Manche können in jedermanns und jederfraus Hände gelangen. Manche dagegen sind nur Eingeweihten vorbehalten. Manche verrotten in staubigen Regalen, manche dagegen in klimatisierten Tresoren. Manche werden liebevoll behandelt. Andere werden brutal geknechtet. Bücher können weinen.

In Zeiten der Massenproduktion relativiert sich die Romantik des Buchdruckens. Ein Hauch von Lösungmittel in der eng gequetschten Werkstatt der Unidruckerei im Betriebshof der Bremer Universität erinnert noch an edles Handwerk. „Wir drucken nicht“, murmelt der Reprofotograf, „wir vervielfältigen.“Und Druckereileiter Manfred Campe fügt hinzu: „Immer wenn es auf mehrfarbig geht oder richtig auf Qualität, dann haben wir Schwierigkeiten. Unsere Maschinen sind veraltet.“

Die Bücher, die in der zentralen Unidruckerei entstehen, sind die proletarische Unterklasse der Unibücher. Die mit der kleinen, lesefeindlichen Schrift. Zwölf Mitarbeiter drucken hier neben Büchern – fast – alles, was in der Uni zwischen zwei neuen Kartonseiten verleimt ist. „Wir sind ein normaler Betrieb und verlangen immer normalere Preise.“Seit Januar dieses Jahres arbeitet die Druckerei teilweise mit eigenem Budget. Das heißt, Materialkosten, Leasinggebühren für den Kopierdrucker und Reparaturkosten müssen erwirtschaftet werden. In Zukunft soll das Budget ausgebaut werden. „Dann müssen wir auch die Personalkosten einspielen“, meint Campe. Obwohl die Druckerei und Buchbinderei ein Betrieb der Uni ist, müssen vom Veranstaltungskalender, über Visitenkarten für ProfessorInnen, Plakate, alles, was von den verschiedenen Fachbereichen bestellt wird, auch von ihnen bezahlt werden. Selbst der Rektor, der stilecht mit einer Schmuckkarte BremerInnen zum Empfang mit Michael Gorbatschov am 4. Oktober einläd, muß für den Druck zahlen. Will die Druckerei in der Zukunft kostendeckend arbeiten, werden die Preise steigen. „Wir hoffen trotzdem weiter günstiger zu arbeiten, als andere Bremer Betriebe“, meint Manfred Campe.

Die Republikaner unter den Büchern sind die, die sich Hinz und Kunz aus der Bibliothek ausleihen können. Hier herrscht Krieg. Rücken werden gebrochen, Leiber zerfetzt, Gesichter verklebt und Innereien aufgeschlitzt. Die zukünftige Elite der deutschen Gesellschaft kennt, wenn es um die Behandlung von Büchern geht, keine Gnade. „Am schlimmsten sind Juristen“, weiß Buchbindermeister Fritz Klocke. Mit drei MitarbeiterInnen arbeitet er direkt an der Wissensfront. Bis zu 300 Bücher müssen monatlich neu gebunden werden. Sie waren dem täglichen Drang nach Erkenntnis nicht mehr gewachsen. Bis zu 150 größerer Reparaturen müssen sich jeden Monat Bücher unterziehen, denen mal fix eine Seite ausgerissen wurde. Dabei sind manche StudentInnen noch ehrlich und kleben, nach der Lektüre, die fehlende Seite mit Tesafilm wieder ein. „Ein Frevel“, empört sich Klocke. Denn der Klebstoff des Tesafilms dingt in das Papier ein und macht es brüchig. Zur Entspannung übt Klocke mit seinem Azubi Ledereinbände. Für ein Alltagsbuch sind die natürlich zu schade.

Christiane Wischmann lebt mit der Aristokratie der Bücherschinken. Sie ist als Buchbindemeisterin allein zuständig für die Restaurierung der alten Handschriften und Folianten. Nur auf Verlangen werden die aus den klimatisierten, lichtgeschützten Räumen oder Tresoren geholt. Schmökern nur unter Aufsicht erlaubt! Trotzdem fehlt bei so manchem Schmuckstück eine Grafik oder ein illuminierter Anfangsbuchstabe. Wischmanns Gegner ist die Zeit. Säurehaltige Papiere müssen neutralisiert werden, sonst zersetzen sie sich selbst. Pergament muß klimatisert werden, bei Feuchtigkeit fängt es an zu schimmeln, bei Trockenheit bekommt es Risse. „Wir versuchen so wenig wie möglich, in die Bücher einzugreifen,“meint die Restauratorin. Aber wenn der Zahn der Zeit zu sehr genagt hat, muß sie einem Buch doch schwer ans Leder. Ist es einmal aufgeschnitten und in seine Bestandteile zerlegt, tut sich der Restauratorin eine neue Welt auf. „Man erkennt Tricks, wie Buchbinder früher gearbeitet haben. Um zu restaurieren muß man kreativ improvisieren“, erklärt die Buchbinderin.

Manchmal enthüllt solch eine Totaloperation versteckte Aufdrucke, die Biografie eines Buchmethusalems kann rekonstruiert werden. „Das ist spannend“, meint Christiane Wischmann, die den Inhalt dieser KönigInnen der Bücher oft nicht liest.

Thomas Schumacher

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