: Wenn sich Kunst politisch einmischt
■ Grenzenlos: Projekt „Fluchtzeiten“serviert ab nächste Woche eine Veranstaltungsflut
Spätestens mit der zehnten Documenta in Kassel ist die politische Einmischung von KünstlerInnen zu neuen Ehren gekommen. Aus der bildenden Kunst kommen wieder politisch motivierte Äußerungen und – schlimmerenfalls – Bekenntnisse. Unabhängig von der gar nicht so großen Kasseler Kunstausstellung haben sich zu Beginn des Jahres Bremer und Wahlbremer KünstlerInnen mit politischen Ambitionen zusammengefunden. Herausgekommen ist ein Projekt namens „Fluchtzeiten“, das ab dem 3. Oktober, dem Tag des Flüchtlings, sieben Wochen lang die ganze Stadt mit Aktionen überzieht.
Unter dem Motto „kein mensch ist illegal“wollen die InitiatorInnen um den Galeristen Cornelius Hertz die politische Debatte um Flucht und Asyl durch künstlerische Komponenten erweitern. Nach Startschwierigkeiten ist „ein gigantisches Projekt von unten“entstanden, gab sich Hertz gestern vor JournalistInnen unbescheiden.
Mit galligen Seitenhieben auf die in der Zunft verbreitete l'art pour l'art – auch vermeintliche Grenzen-GegnerInnen grenzen munter aus – schwärmte er ein Projekt herbei, das Beiträge von Vollprofis und Laien vereint – was andererseits nichts bedeute, weil professionelle Kunst ohnehin ein bürgerlicher Begriff sei. Als „l'art pour l'homme“(Kunst für Menschen) ist die Chose zu verstehen, so die Ergänzung der Malerin Frauke Veldkamp-Tapavicki. Kommerz und mithin auch die Kunst schwappen heute über sämtliche Grenzen hinweg, nur den Menschen mit dem „falschen“Paß ist dieses Vergnügen untersagt, berufen sich die BremerInnen kurz gefaßt auf ein Manifest der Berliner Initiative „kein mensch ist illegal“. Und auch die französischen Intellektuellen, die sich für die illegalen Einwanderer und gegen die Front National einsetzen, standen ihnen Pate.
Bis Ende November erwartet die in Bremen Angekommenen ein Programm mit einem halben Dutzend Ausstellungen, mit Tanz- und Theateraufführungen, Konzerten sowie literarischen und politischen Veranstaltungen in Galerien und Kultureinrichtungen. Das Projekt „Fluchtzeiten“, das von der Kulturbehörde mit 15.000 Mark und dem Verein Bremen – Land der vielen Kulturen mit 10.000 Mark unterstützt wird, beginnt offiziell am 3. Oktober mit einem Fest im Kulturzentrum Schlachthof. Dabei steht eine vom Internationalen Menschenrechtsverein Bremen organisierte Videokonferenz mit Flüchtlingsgruppen in Paris und London auf dem Programm. „In England“, so der Initiator Viraj Mendis, „werden die Künstler zunehmend integriert in den Kommerz, in Frankreich sind sie politisch engagiert – wir wollen herausfinden, welche Rolle sie in Deutschland spielen.“
Der Gefahr, eine bloße Konsensdebatte zu inszenieren, waren sich die „Fluchtzeiten“-PlanerInnen wohl bewußt. Mit Aktionen am Flughafen, am Hauptbahnhof oder auf dem „Asyl“-Schiff Embrica Marcel wollten sie auch topographisch brisante Orte einbeziehen. Doch nach Angaben des Co-Initiators Frank Borris sind fast alle Anträge mehr oder weniger begründet abgelehnt worden. Geblieben ist eine nicht öffentlich zugängliche Malaktion auf der Embrica Marcel und in Flüchtlingsheimen sowie eine „offene Werkstatt“in Tenever. Außerdem, so der Bosnier Predrag Tapavicki, würden allein durch die Beteiligung so vieler KünstlerInnen ganz andere Menschen angesprochen als durch rein-politische Debatten. Christoph Köster
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