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„Die sollen nach Israel“

50 jüdische Aussiedler bringen das Dorf Gollwitz in Rage  ■ Von Constanze von Bullion

Wieso? Die Dame im geblümten Kittel versteht nicht ganz. Wieso sie was gegen die Ausländer habe? „Weil jeder weiß, was die anstellen.“ Jawohl, ruft ihr Mann Kurt über den Gartenzaun. „Das kann man doch jeden Tag im Fernsehen sehen. Diese Kriminellen, die Einbrecher aus dem Osten.“ Nein, sagen die beiden, die vor ihrem Haus von einem Pantoffel auf den anderen treten, mit der Ruhe sei es vorbei in Gollwitz. „Wir haben nichts gegen Juden, aber seit wir wissen, daß die herziehen sollen, hat jeder Angst.“

Wer das Fürchten lernen will, der sollte nach Gollwitz an der Havel fahren. Nicht, daß das brandenburgische Dorf anders wäre als andere. Und seine 400 Bewohner sind eben auch so wie die meisten hier: genauso beharrlich. Genauso ängstlich. Und genau so unerbittlich gegen alles Fremde. 50 jüdische Aussiedler aus GUS-Ländern, sogenannte Kontingentflüchtlinge, sind kürzlich am Horizont von Gollwitz aufgetaucht. Der Landkreis Potsdam-Mittelmark will sie im Gutshaus des Dorfes unterbringen, die zuständige Verwaltungsgesellschaft hat den Beschluß dem Gemeinderat in knappen Worten mitgeteilt – und der hat vergangene Woche abgelehnt. Einstimmig. Mit derart vielen Fremden im Dorf, erklärte Bürgermeister Andreas Heldt, könnten „Sicherheit und Ordnung nicht gewährleistet“ werden.

Seine Botschaft hat sich schnell verbreitet. Von einem „zweiten Dolgenbrodt“ schrieb die Lokalzeitung. Nun ziehen Trupps von Reportern durch die staubigen Straßen von Gollwitz. Bürgermeister Heldt hat vor Schreck das Telefon abstellen lassen. Sein Stellvertreter Brüggemann gibt „keinerlei Auskünfte“. Selbst der Pastor beantwortet Fragen nur noch nach schriftlicher Eingabe. Übriggeblieben zum Auskunftgeben sind nur die, die auch sonst übrig sind: die Alten, Arbeitslose und die Alkoholisierten, die ihren Haß in jedes Mikrofon erbrechen, das ihnen vor die Nase gehalten wird.

„Schlimme Erfahrungen mit Juden, ganz schlimme“, hat zum Beispiel der Mann im gelben Pullover gemacht, der sich zwischen kläffendem Hündchen und abgeblühten Dahlienbüschen auf den Beinen hält. Nein, sagt seine Nachbarin, auch sie sei dagegen, im Schloß „diese Russen“ unterzubringen. „Total verrammelt“ hat sie ihr Haus neuerdings, ihr Mann will sich „einen Revolver kaufen“. Denn daß Fremde klauen und mit Messern stechen, weiß die Rentnerin aus der Zeitung. Sicher, kommt es dann noch etwas zögerlich, sie selbst war auch mal Flüchtling. 1945 treckte die Melkerin aus Posen nach Gollwitz. „Als Polacken haben die uns hier beschimpft, das war sehr hart.“ Aber was vorbei ist, ist vorbei. Und die Juden, die „immer nur Geschäfte machen“, die „sollen doch nach Israel gehen, wo sie herkommen“.

Es gibt bisher keinen Ausländer in Gollwitz. Und keinen Juden. Die vermutlich einzige Person, die jüdisches Leben aus der Nähe erlebt hat, ist die 90jährige Elsa Heldt, die Mutter des Bürgermeisters. Sie hat ihre Jugend im Berliner Scheunenviertel verbracht: „Da kamen immer mehr Juden aus Galizien, jeden Tag.“ Schön habe das keiner gefunden „mit dem Schabbath und diesen ganzen Trödelläden“. Und als 1938 die Scheiben klirrten in jüdischen Läden, da habe sie gedacht: „Bei denen gibt es eben solche und solche.“ Jetzt hat die Vergangenheit Frau Heldt irgendwie eingeholt: „Also daß das Jüdische hier nach Gollwitz einziehen soll“, überlegt sie laut. Und bricht das Gespräch ab.

Angst vor den Fremden. Angst vor dem Getuschel der Nachbarn. Angst, das auszusprechen, was man nicht denken soll, aber längst für salonfähig hält. Der Konflikt spült alle Ressentiments an die Oberfläche. Die Gollwitzer haben beschlossen, auf eigene Faust für ihre „innere Sicherheit“ zu sorgen.

Ob es nun Antisemitismus ist oder die ganz normale Fremdenfeindlichkeit dürfte für die Aussiedler, die ab Winter in Gollwitz wohnen sollen, einerlei sein. In dem stuckverzierten Gutshaus wohnten zu DDR-Zeiten fünf Familien. Zwei Schulklassen und ein Kindergarten hatten Platz im Erdgeschoß. Nach der Wende versuchte eine Alteignerin aus dem Westen, sich das Herrenhaus nebst Kirche und pittoreskem Schloßpark rückerstatten zu lassen. Doch das Anwesen fiel an den Landkreis. Und der läßt die marode Idylle seit Jahren leerstehen.

Die Gollwitzer würden das Schloß am liebsten zum Altenheim umbauen lassen. Für 50 Leute sei es ohnehin zu klein. Und außerdem: Womit sollen die Flüchtlinge sich eigentlich den ganzen Tag beschäftigen in einem Nest, wo es weder einen Laden gibt noch eine Kneipe? Begeistert von der Idee mit dem Gollwitzer Gutshaus sind auch die jüdischen Gemeinden nicht. „Die Unterbringung von Kontingentflüchtlingen in kleinen Dörfern erschwert unsere Arbeit sehr“, weiß Irene Knochenhauer vom Gemeindevorstand in Potsdam. „Nur wer in der Nähe lebt, hat auch eine Chance, in die Gemeinde integriert zu werden.“

Wünschen kann man es keinem der Emigranten, nach Gollwitz geschickt zu werden. Frau Zeidler immerhin, eine rüstige Dame, die ihr schlohweißes Haar mit einem Stich Lila aufgefrischt hat, verbreitet einen Hauch von Optimismus. Im Wartezimmer der Ärztin im Dorf rekapituliert sie die Chronik des Herrenhauses. Vor 70 Jahren als sie in Gollwitz geboren wurde, wohnten noch „die Grafen“ im Schloß. Dann kam „das Lazarett“. Und nach dem Krieg die Flüchtlinge aus dem Osten. „Mit denen sind wir damals fertig geworden“, sagt sie nur, „dann schaffen wir das diesmal wieder.“ Auch wenn ihr ein Altenheim natürlich lieber wäre. Schon aus „wirtschaftlichen Erwägungen“.

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