piwik no script img

Wieder wie in der guten alten Vierjahreszeit?

■ Hamburgs Bezirke: Ein buntes Kaleidoskop an rot-grün-schwarzen Verhandlungen über dieses und jenes

„Ob wir Koalitionsverhandlungen führen?“Der Bergedorfer CDU-Fraktionschef Herbert Paege wiederholt das Begehr der Presse, als habe ihm jemand einen unsittlichen Antrag gemacht. Denn Paege, dessen Partei bei der Bezirksversammlungswahl um vier Prozentpunkte zulegte (33,2%), will „weiterhin mit wechselnden Mehrheiten regieren“. Das hätten doch sowohl er als auch SPD (36%) und GAL (13,3%) schon vor der Wahl kundgetan, oder? Dieser Tage jedenfalls hat Herbert Paege andere Sorgen. Und die heißen Deutsche Volksunion (DVU).

Zum zweiten Mal ziehen die Rechtsextremen ins Bergedorfer Parlament ein (1993: 5,6%, 1997: 5,5%), „und irgendwo müssen die drei Abgeordneten ja sitzen“, seufzt Paege. Vier Jahre lang habe die CDU die DVU neben sich „auf Gestühl, das man nicht verrücken kann, ertragen müssen“. Jetzt seien andere dran, doch die wollen nicht.

Niemand möchte mit der DVU zu tun haben, die auch in Harburg, Wandsbek und Mitte den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffte. In Mitte aber wird Ignoranz kaum möglich sein. Die DVU entsendet einen 84jährigen und „stellt damit den Alterspräsidenten der Bezirksversammlung“, grämt sich GAL-Fraktionschefin Helmke Kaufner. Als solcher könne der rechtsextremes Gedankengut „in persönlichen Reden“verbreiten, fürchten auch CDU und SPD.

Letztere hat nach 48 Jahren die absolute Mehrheit verloren und ist darüber noch nicht hinweg. Gestern konnte sie nicht sagen, mit wem Koalitionsgespräche geführt würden. Die GAL dagegen würde ein rotgrünes Bündnis trotz Hasses auf die Rechtsaußen-SPD eingehen. Dazu aber sei die restriktive Bezirksversammlungs-Geschäftsordnung zu ändern: Die Grünen wollen Dringlichkeitsanträge einbringen und als Fraktion selbstbestimmt Auszeiten nehmen können. Dinge, die in Bezirken wie Altona oder Nord selbstverständlich sind.

In Nord will der alte und neue GAL-Fraktionschef Wolfgang Guhle „gucken, ob jemand in Nord Lust hat, unsere Projekte zu unterstützen“. Verstärkte Armutsbekämpfung und Bürgerbeteiligung, aber auch der Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit, schlechte Wohnverhältnisse und andere Ursachen der inneren Unsicherheit stehen auf der Liste. Eine große Koalition gilt in Nord als ebenso unwahrscheinlich wie im bislang rotgrün regierten Altona, wo die CDU stärkste Fraktion wurde.

„Sicher“, erklärte diese gestern, würden Sondierungsgespräche geführt. Nur mit wem? Trotz erheblicher Streitereien zwischen Sozis und GAL in den vergangenen vier Jahren kann sich keiner der beiden so recht ein Bündnis mit der CDU vorstellen. Dennoch will SPD-Fraktionschef Horst Emmel noch „kein dezidiertes Koalitionsangebot“machen. Vielmehr sollten „die Entwicklungen auf Landesebene abgewartet werden“. Ähnlich sieht das die neue grüne Fraktionschefin Petra Bödeker-Schoemann.

Auch in Wandsbek ist ungewiß, ob die schwarz-rote Koalition Bestand hat. Die GAL hat sich jüngst bei der SPD angebiedert. Die aber, so Fraktionschef Ingo Egloff, will nach beiden Seiten verhandeln. Die CDU als stärkste Fraktion hält die GAL bei Wirtschaftspolitik, Stadtplanung und Wohnungsbau für „himmelweit von uns entfernt“.

Näher glauben sich Rote und Grüne in Harburg. Die GAL strebt die Kooperation an, und der SPD wird angesichts ihres schlechten Wahlergebnisses (fünf Prozent Verlust) kaum anderes übrig bleiben. Ein Essential für die GAL, so Fraktionsgeschäftsführer Dirk Mecklenburg, sei die Wahl des Bezirksamtsleiters im Frühjahr 1998. Als Kandidaten kommen drei SPDler in Betracht: Bernhard Hellriegel, Verwaltungsdezernent und seit einem Dreivierteljahr Interims-Amtsleiter, hat das nach Ansicht der GAL „ganz gut gemacht“. Gute Chancen werden auch dem SPD-Linken und Rotgrün-Befürworter Harald Muras, SPD-Kreischef, eingeräumt. Als weniger aussichtsreich gilt die Wilhelmsburger Ortsamtsleiterin Heike Severin, die „zwar eine Frau ist“(ein GALier), aber den Nachteil hat, mal Referentin des designierten Ex-Bürgermeisters Voscherau gewesen zu sein.

Auch in Eimsbüttel, dem kleinsten Bezirk, steht die Wahl des Bezirkschefs an. Jürgen Mantell (SPD) war 1996 nach monatelangem Streit vom Senat eingesetzt worden. Die CDU will ihn, anders als die GAL, durchaus bestätigen. Zum Dank erklärte SPD-Fraktionschef Jan Jalass gestern, er könne sich „Koalitionsverhandlungen mit der CDU vorstellen und mit der GAL auch“. Letztere aber würde lieber bei wechselnden Mehrheiten bleiben. Wie in der guten, alten Vierjahreszeit. Heike Haarhoff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen