: Oslo — ein palästinensisches Versailles
■ Edward W. Saids kritische Essays über die Abkommen zwischen Israel und der PLO und die Perspektiven des Friedensprozesses – von Arafats Informationsministerium prompt verboten
Am 13. Oktober 1993 wurde auf dem Rasen vor dem Weißen Haus in Washington das Osloer Abkommen zwischen Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in einer „feierlichen“ Zeremonie unterzeichnet. Dieser Tag, der als Meilenstein in die Geschichte des Nahen Ostens eingehen sollte, ist für den US-amerikanischen Professor palästinensischer Abstammung, Edward Said, ein „Tag der Trauer“, das Abkommen selbst ein „Instrument der Selbstaufgabe“, ein „palästinensisches Versailles“. Seine Einschätzung begründet Said in dem jetzt auch auf Deutsch erscheinenden Buch „Frieden in Nahost? Essays über Israel und Palästina“.
Der Band enthält eine Sammlung von Artikeln, die zwischen 1993 und 1997 in arabischen und englischsprachigen Zeitungen erschienen sind. Said analysiert schonungslos die Mängel, die in der Osloer Prinzipienerklärung und den späteren Abkommen zwischen Israel und der PLO enthalten sind, sowie die Bedingungen, unter denen sie zustande kamen. Für ihn handelt es sich um Vereinbarungen zwischen Ungleichen – einer wegen des Bündnisses mit Saddam Hussein während des Krieges gegen den Irak geschwächten PLO und eines militärisch starken Israels, das sich der Unterstützung durch die USA sicher sein konnte.
Said moniert, daß in Oslo einer gut vorbereiteten und kompetenten israelischen Mannschaft eine dilettantische palästinensische Delegation gegenübersaß. Wiederholt beklagt er, wie gering die Kenntnis über die Geschichte und Politik der USA und Israels in der arabischen Welt ist. Daher widmet er auch einige Essays dem Versuch, seinen arabischen Lesern das Verhältnis von Politik und Medien in den USA und einige Grundzüge der amerikanischen Interessen im Nahen Osten nahezubringen. Diese Passagen gehören zu den stärksten des Buches.
Bei den Abkommen, die die ungleichen Partner geschlossen haben, kritisiert Said unter anderem die vorrangige Bedeutung der Sicherheit Israels, die Arafat zum Handlanger des jüdischen Staates mache; die anhaltende Kontrolle Israels über weite Teile des palästinensischen Territoriums; das Ausklammern entscheidender Probleme wie die Siedlungen, den Status von Jerusalem und die Zukunft der palästinensischen Flüchtlinge in den arabischen Staaten. Saids Essays lesen sich gelegentlich fast als Kommentare zur Tagespolitik.
Doch Said bleibt nicht bei der Analyse der Abkommen stehen. Er nimmt auch Arafat persönlich und die Führung der PLO aufs Korn, die von einer „Befreiungsbewegung zu einer Art Kleinstadtregierung“ verkommen sei. Die Verhältnisse in der „Kleinstadtregierung“ greift er scharf an: seien es Bürokratie, Inkompetenz, Korruption, die sich ständig vermehrende Zahl von Geheimdiensten oder Menschenrechtsverletzungen. Wie zur Bestätigung dieser Auffassung wurde die arabische Ausgabe des Buches im Juli 1996 prompt von Arafats Informationsministerium verboten.
Wegen dieser doppelten Ebene der Kritik liest sich das Buch teilweise fast so, als sei der Autor ein intelligenter Vertreter der palästinensischen Ablehnungsfront, also jener vornehmlich in Damaskus ansässigen Gruppen, die, wenn es um Abkommen mit Israel geht, in den Kategorien von Ausverkauf, Verrat und Verrätern denken. Doch Said hat seit 1969 über Jahre hinweg an zahlreichen arabisch-israelischen Gesprächsrunden teilgenommen. Auch als Mitglied des Palästinensischen Nationalrates (Exilparlament der PLO) setzte er sich für eine Zwei-Staaten-Lösung ein, bis er 1991 zurücktrat. Dabei spielten zwar persönliche Gründe mit. Doch er nahm auch seine spätere Kritik an Oslo vorweg: „Im Januar 1991 kristallisierte sich für mich jedoch nicht nur heraus, daß unsere Führung dabei war, die Erfolge der Intifada achtlos zu verschleudern, sondern auch, daß Arafat und einige seiner engsten Berater bereits eigenmächtig entschieden hatten, jeden Brotkrumen zu akzeptieren, den die Vereinigten Staaten und Israel vielleicht für sie vom Tisch fallenlassen würden, nur um als Teil des ,Friedensprozesses‘ zu überleben.“
Hätte Said sich nicht für die Rolle eines Kritikers, sondern die eines Politikers entschieden, müßte man von ihm realistischere Alternativen zu Arafats Politk erwarten, als dies im vorliegenden Buch der Fall ist. Über die Forderung nach einer klaren palästinensischen Strategie gegenüber der Politik Israels, den Sturz Arafats und eines nicht näher beschriebenen palästinensischen „Widerstandes“ geht er nicht hinaus. Die Rolle radikalislamistischer Organisationen wie Hamas und Jihad Islami streift er dabei nur am Rande.
Saids Vorstellung, daß ein wirklicher Frieden nur ein Frieden unter Gleichen sein kann, erscheint nach seiner klaren Analyse der Verhältnisse zumindest widersprüchlich, wenn nicht als Wunschdenken. Beate Seel
Edward Said, „Frieden in Nahost? Essays über Israel und Palästina“. Palmyra Verlag, Heidelberg 1997, 280 Seiten, 34 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen