: Wenn Bonns Politiker nach Berlin ziehen, werden sie am Ende der Friedrichstraße einen städtebaulichen Torso vorfinden: Der Rückzug eines Investors aus dem Renommierprojekt am Checkpoint Charlie ist die Reaktion auf das Scheitern der Wiederb
Wenn Bonns Politiker nach Berlin ziehen, werden sie am Ende der Friedrichstraße einen städtebaulichen Torso vorfinden: Der Rückzug eines Investors aus dem Renommierprojekt am Checkpoint Charlie ist die Reaktion auf das Scheitern der Wiederbelebung der früheren Prachtmeile.
Kulissenzauber
Wo gehören bloß die Tische hin? Das Touristenpärchen auf der Friedrichstraße in Berlin-Mitte ist irritiert. Fünf Wirtshaustische stehen da auf dem schmalen Bürgersteig vor dem „Kontorhaus Mitte“, alle hübsch mit weißblauer Tischdecke und einem Aschenbecher hergerichtet, bloß die dazugehörige Kneipe fehlt. Da entdeckt der Mann eine Werbeschürze: „Leopold's“ steht da, „bayrische Schmankerl – Essen und Trinken“. Der Mann sucht nach dem Leopold's, seine Begleiterin sagt: „Komm!“ Er kommt. Eingezwängt zwischen Marmorfassaden und parkenden Mittelklassewagen trinken nicht einmal Touristen ihr Weißbier auf der Friedrichstraße.
„Wenn Berlin Hauptstadt wird, geht alle Wandlung von der Friedrichstraße aus“, hat der New Yorker Stadtforscher Peter Marcuse kurz nach dem Fall der Mauer prophezeit. Auch der ehemalige Investorenbeauftragte des Berliner Senats, Hanno Klein, war sich sicher, daß man zum „Shoppen in die Friedrichstraße einmal von Rostock bis Dresden“ kommen werde. Heute, da die von Klein projektierten Großblöcke der „Friedrichstadtpassagen“ wie Raumschiffe im Stadtbild stehen, kommen vor allem die Kids: auf der Suche nach Inline-Skatern bei Karstadt-Sport oder Techno-Klamotten beim Mode-Discounter Hennes & Mauritz.
Marcuses Prophezeiung hat sich dennoch erfüllt, nur anders als gedacht. Der Wandel, der von der Friedrichstraße ausgeht, ist nicht mehr der Traum von der „Wiederbelebung“ der urbanen Legende der zwanziger Jahre. Es ist die Kunde einer Totgeburt inmitten der Hauptstadt. Abends, wenn die wenigen Geschäfte schließen, bevölkern vor allem Wachmänner die Szenerie zwischen Gendarmenmarkt und Galeries Lafayette. Die Friedrichstraße, die zu „revitalisieren“ nach der Vereinigung einmal eine ganze Heerschar von Architekten, Stadtplanern und Politikern angetreten war, atmet zwischen Granitsäulen und Natursteintapeten heute den sterilen Charme eines Operationssaals.
Zumindest Ronald Lauder, der milliardenschwere Erbe des Kosmetikmultis Estée Lauder, wollte sich dieses Debakel nicht länger mit ansehen. Am Wochenende bestätigte der frühere US-Botschafter in Österreich seinen Rückzug aus der Investorengruppe Central European Development Corporation (CEDC). Damit bleibt dem Renommierprojekt American Business Center, das die CEDC am ehemaligen Grenzkontrollpunkt Checkpoint Charlie auf 100.000 Quadratmetern Nutzfläche hochziehen wollte, das Schicksal der Friedrichstadtpassagen vorerst erspart: Zwei der fünf Checkpoint-Blöcke werden gar nicht erst gebaut. Wenn die Bonner Minister und Beamten in die Hauptstadt ziehen, werden sie nicht nur am Potsdamer und Leipziger Platz, sondern auch am südlichen Ende der Friedrichstraße einen städtebaulichen Torso vorfinden.
Längst haben neben Lauder auch andere Investoren auf die Flaute in Berlins Mitte reagiert. In der nördlichen Friedrichstraße etwa ist außer dem Neubau eines „Kulturkaufhauses“ der Dussmann-Gruppe von Aufbruch keine Rede mehr. Und die gigantischen Pläne einer neuen Stadt rund um den Bahnhof Friedrichstraße verschimmeln in den Schreibtischen der Architekten.
Heute, da von der Friedrichstraße in ihrer monströsen Monotonie nur mehr die Botschaft eines urbanen Straßenfegers ausgeht, begreifen auch die Protagonisten des ehemaligen Architekturstreits, daß ihr Disput um steinerne versus gläserne Fassaden nicht mehr war als ein Kulissenzauber. Worüber nicht gestritten wurde, war die Nutzung der Gebäude. „Als ich forderte, in der Friedrichstraße auch Wohnungen zu bauen, haben die Investoren nur gelacht“, erinnert sich die Ex-Baustadträtin von Berlin-Mitte, Dorothee Dubrau. Heute haben die Investoren, die mit Büroflächenlandschaften die schnelle Mark machen wollten, nichts mehr zu lachen, die Bauherren in der „City-West“ rund um die Gedächtniskirche dagegen um so mehr. Vom Untergang des Kurfürstendamms, wie er noch Mitte der 90er Jahre angesichts des Baubooms in Berlins Mitte befürchtet worden war, ist schon lange keine Rede mehr (vgl. unten).
Mittlerweile haben die Wirte des Leopold's ihre Tische ins Innere des „Kontorhauses“ hereingeholt, wo nicht nur das „eigentliche“ Leopold's seiner Gäste harrt, sondern inmitten gähnender Leere ein ausgebranntes Auto unter einem Tarnnetz die Stadtkultur auf Kunst im Bau reduziert. Außen tot, innen tot: Friedrichstraße. Uwe Rada, Berlin
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