: Justizminister will „endlich Schlußstrich“ ziehen
■ Interner Referentenentwurf sieht pauschale Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile vor. Gleichzeitig versucht der Finanzminister, Entschädigungsregelungen zu hintertreiben
Bremen (taz) – Im Justizministerium kursiert derzeit ein Referentenentwurf, der die Aufhebung aller nationalsozialistischen Unrechtsurteile vorsieht. Sollte er durch Bundestagsbeschluß Gesetz werden, wären endlich die Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und die sogenannten „Wehrkraftzersetzer“ rehabilitiert. Aufgehoben wären auch alle Urteile des Volksgerichtshofes, der Stand- und Militärgerichte und die des Reichskriegsgerichtes. SPD und Bündnis 90/Grüne signalisierten bereits ihre Zustimmung.
Der Entwurf aus dem Hause Edzard Schmidt-Jortzigs geht erheblich weiter als alle bisher vom Bundestag beschlossenen Rehabilitierungen. Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, sieht in den Formulierungen „das Beste, was bisher auf den Tisch kam“. Ausdrückliches Ziel des Entwurfs ist es, „über den Einzelfall hinausgehend, den vielen Menschen, denen Unrecht widerfahren ist, endlich Genugtuung zu verschaffen“. Damit will der Justizminister „den Schlußstrich unter eines der dunklen Kapitel der NS- Strafjustizgeschichte“ ziehen.
Der – bis jetzt noch interne – Referentenentwurf rückt die lang erwartete pauschale Rehabilitierung der NS-Justizopfer in erreichbare Nähe, die bislang von der CDU/ CSU hintertrieben wurde. Nun sollen alle Unrechtsurteile ohne Einzelfallprüfung und ohne Antrag aufgehoben werden. Voraussetzung: Die Gerichtsurteile müssen aus „politischen, rassistischen oder weltanschaulichen Gründen“ verhängt worden sein, gefällt, um das nationalsozialistische Regime „aufrechtzuerhalten oder durchzusetzen“. Für die Abschreckungsurteile, die die NS-Blutrichter verhängten, ist dies längst nachgewiesen. Allein 20.000 Deserteure wurden während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis hingerichtet – bei den Alliierten war es im gleichen Zeitraum ein einziger.
Der Referentenentwurf räumt mit der unterschiedlichen Rehabilitierungsgesetzgebung der Bundesländer auf, denn er schafft einheitliche Regelungen. Verurteilte könnten eine Bescheinigung beantragen, die die Einstellung ihrer Verfahren bestätigt. Die meisten der Verurteilten gelten bis heute als vorbestraft. Die entsprechenden Eintragungen im Bundeszentralregister sollen gelöscht werden. Unter das Schlußstrichgesetz würden auch Urteile fallen, die in den von Deutschen besetzten Gebieten gegen die Einheimischen gefällt wurden.
Im krassen Gegensatz zu diesem Entwurf steht eine Entscheidung aus dem Hause von Finanzminister Waigel. Der Bundestag hatte im Frühjahr eine finanzielle Entschädigung für Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraftzersetzer“ abgesegnet, doch nun will das Finanzministerium die 7.500 Mark nicht zahlen. Während der Bundestag klarstellte, daß die Urteile „unter Anlegung rechtsstaatlicher Wertmaßstäbe Unrecht waren“, veränderte man in Waigels Ministerium den Wortlaut des Beschlusses. Die Rede ist nur noch von einer „Unrechtsvermutung“. Die Trickserei bedeutet, daß kaum ein Betroffener Anspruch auf die Entschädigung haben würde und sich einer zeitraubenden Einzelfallprüfung stellen müßte. Für Ludwig Baumann ist das nicht nur „Betrug“, sondern auch eine „erneute Demütigung“. Christoph Dowe
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